Zwanzig Jahre nach seinem Buch "A Superpower in the Making" zieht der Friedensforscher Johan Galtung erneut Bilanz über Europa und stellt nunmehr die Frage „Europa, Gehirn oder Krankheit der Weltgesellschaft?". Die Antworten, die er in der vorliegenden Sammlung von insgesamt zehn Vorträgen und Aufsätzen gibt, sind kein ausschließliches "Entweder-Oder", sondern ein "Sowohl-Als auch". Galtung analysiert das Ansinnen der Supermacht Europa und des sich herausbildenden europäischen Supernationalismus, er zeigt die Wurzeln dieses Projekts in der europäischen Geschichte und weist auf die Zerstörungen hin, die dieses Europa im Lauf seiner Geschichte bereits angerichtet hat (Stichwort „500 Jahre Conquista"), derzeit anrichtet oder in Zukunft noch anrichten kann und wird. Galtungs Gegenwartsdiagnose zeigt ein Westeuropa auf dem Weg zur Integration, das wirtschaftlich in kolonialistischer Weise expandiert und dabei die "Lateinamerikanisierung Osteuropas" betreibt, sein Zentrum gegen die Peripherien abschottet, den militärischen Komplex ausbaut und nach dem Zerfall der Sowjetunion nach neuen Feinden sucht. Demgegenüber entwickelt der Friedensforscher Vorstellungen von einem anderen Europa als Alternative zur EG/EU. Dieses auf der Idee einer paneuropäischen Konföderation aufbauende Europa müßte bereit sein, sich auf die Konflikte in seinem Inneren und deren Lösung einzulassen bzw. - in Galtungs eigenen Worten - "abtreten zu Gunsten der marginalisierten anderen innerhalb ihrer eigenen Gesellschaft, der Frauen, der Jungen und Alten; der Nicht-Weißen und der unteren Klassen; der Non-Konformisten und der anderen Länder, um einen Platz zu finden, Seite an Seite und inmitten der anderen." G. F.
Galtung, Johan: Eurotopia. Die Zukunft eines Kontinents. Wien: Promedia, 1993. 256 S., DM 32,- / sFr. 27,20/ öS 249,60