Marylène Patou-Mathis

Weibliche Unsichtbarkeit

Ausgabe: 2022 | 2
Weibliche Unsichtbarkeit

Um das Narrativ des Jägers als Prototypen des prähistorischen Menschen zu dekonstruieren, beleuchtet Maryléne Patou-Mathis zunächst den zeitgeschichtlichen Kontext Mitte des 19. Jahrhunderts, in dem die Urgeschichtsschreibung als wissenschaftliche Disziplin entsteht. Zu dieser Zeit gehen Forscher noch davon aus, dass Frauen weniger intelligent und aufgrund von Menstruation und ‚Stimmungen‘ unrein, unkontrolliert, unkreativ und schwach seien. Vor diesem Hintergrund entwerfen die Urhistoriker das Bild einer prähistorischen Urfamilie, die dem westlichen Familienideal der monogamen, patriarchalen Kernfamilie zum Verwechseln ähnelt. Auch der Blick auf die prähistorische Frau ist geprägt vom Male Gaze und formt bis Mitte des 20. Jahrhunderts das kollektive Bewusstsein. Die Vorstellung, es habe Kriegerinnen – oder gar matriarchale Gesellschaften – gegeben, kann die patriarchale Gesellschaft nicht akzeptieren. Ab der 1970ern setzt dann mit der sogenannten ‚Geschlechterarchäologie‘ eine Wende ein: Feministische Wissenschaftlerinnen kritisieren erstens die ungleiche Arbeitsteilung in der Forschung – Frauen wurden von Ausgrabungen ferngehalten –, zweitens die Anwendung moderner, männlicher, westlicher Normen auf vergangene Gesellschaften, und drittens die Interpretationen von Funden aus der Perspektive des biologischen Determinismus, der von einer ‚natürlichen‘ Arbeitsteilung ausgeht.

Mit den neuesten Analysemethoden, das zeigt Patou-Mathis, kann die Rede vom schwachen Geschlecht als falsch entlarvt werden: Frauen im Paläolithikum hatten wohl eine Robustheit und Muskelkraft, die uns dazu verpflichtet, ihre  Tätigkeiten neu zu beleuchten. Auch die Mär der Sammlerin ist zwar nicht widerlegt, muss aber um das Bild der Jägerin, Kriegerin, Erfinderin, Göttin und Künstlerin ergänzt werden.

Patou-Mathis Anliegen ist klar – sie schreibt gegen einen vermeintlichen Determinismus an, indem sie auf feministische Gegengeschichten verweist. Leider kann manche Argumentationslinie nicht ihre ganze Kraft entfalten, da das Buch teils inhaltlich an Struktur vermissen lässt und sprachlich – was der Übersetzung geschuldet sein mag – an manchen Stellen eleganter sein könnte. Insbesondere im dritten Abschnitt „Ewigen Rebellinnen“ aber gewinnt das Buch an Fahrt, als es um den Kampf der Frauen um Gleichberechtigung geht: „Die Tür ist aufgestoßen und wird sich erst schließen, wenn die Frau ihren rechtmäßigen Platz in der Geschichte gefunden hat.“ (S. 191)