Andreas Wehr über Trump, Brexit, Migration und Eurokrise:
Der Jurist Andreas Wehr ist überzeugt, dass sich die EU gegenwärtig in einer Phase der Stagnation befindet und hält auch die vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron angestrebte Vertiefung der Integration für wenig wahrscheinlich. Es sind v.a. drei Probleme, die seiner Einschätzung nach zu lösen sind.
1) Die s. E. seit 2010 anhaltende Eurokrise, die nach wie vor nicht gelöst, sondern nur aufgeschoben ist. „Seit Eintritt der Zahlungsunfähigkeit Griechenlands im Frühjahr 2010 versuchen die Euroländer, die Krise des gemeinsamen Währungsraums nur noch einzudämmen.“ (S. 172) In Griechenland hat die von der Regierungspartei Syriza abgespaltene Partei Volkseinheit bereits einen Vorschlag für den Austritt des Landes aus der Eurozone vorgelegt.
2) Der Austritt Großbritanniens verlangt ein konstruktives Herangehen an die Verhandlungen über den Scheidungsvertrag, denn der Brexit ist bereits für das Frühjahr 2019 vorgesehen.
3) Der Hauptstreitpunkt ist bekanntermaßen die Flüchtlings- und Migrationspolitik und wie sich gezeigt hat, ist eine Verpflichtung aller EU-Staaten zur Aufnahme von Flüchtlingen vorerst nicht durchsetzbar. Hinzu kommen auch Entfremdungsprozesse zwischen der Gruppe der Visegrád-Staaten Polen, Slowakei, Tschechien und Ungarn auf der einen und den kerneuropäischen Ländern unter Führung Deutschlands auf der anderen Seite.
Macron hat mit der Idee einer „europäischen Asylbehörde“ bzw. einer „europäischen Grenzpolizei“ ein ehrgeiziges Programm vorgelegt. In den Bestrebungen zu einer gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik seien aber bisher keine wesentlichen Fortschritte zu sehen. Einzig von einer Stärkung bzw. einer demokratischen Legitimierung der zur Bewältigung der Griechenlandkrise geschaffenen Institution „Europäischer Stabilitätsmechanismus“ (ESM) verspricht sich Andreas Wehr einen Erfolg. Der Autor betont immer wieder auch den eigentlichen Charakter der EU, die nämlich keine mit eigener Souveränität ausgestattete Institution und schon gar nicht ein Staat ist, sondern eine supranationale Einrichtung. Deshalb hängt es seiner Ansicht nach in der gegenwärtigen Krise mehr und mehr von den politischen Entscheidungen der Mitgliedsländer ab, was aus der EU wird. In Anbetracht der gegenwärtigen politischen Konstellation vieler Mitgliedsstaaten sei hier kaum Anlass zur Hoffnung gegeben.
Von Alfred Auer
Wehr, Andreas: Europa, was nun? Trump, Brexit, Migration und Eurokrise. Köln: PapyRossa-Verl., 175 S. (Neue Kleine Bibliothek; 252) € 13,90 [D], 14,30 [A] ; ISBN 978-3-89438-653-5