Das Immoralische

Ausgabe: 2018 | 4
Das Immoralische

In einem sehr erfrischend zu lesenden Buch, herausgegeben von Michael Manfé, geht es um „das Immoralische“. Die AutorInnen des Bandes flanieren und halten Ausschau nach Erscheinungsformen des Immoralischen. „Sie erzählen und übersetzen. Insofern sind die vorliegenden Auseinandersetzungen Reiseberichte.“ (S. 29)

Der Herausgeber setzte sich beispielsweise mit dem Begriff der Authentizität auseinander. „Gegenwärtig herrscht ein Imperativ der Authentizität und dieser entfaltet einen Zwang sich selbst gegenüber. Er erzeugt einen Zwang sich permanent selbst zu befragen, zu belauschen, zu belagern. Er verschärft dadurch den narzisstischen Selbstbezug. Das Fatale am Authentizitätszwang ist, dass dieser das Ich dazu zwingt, sich selbst zu produzieren. Somit ist Authentizität beziehungsweise der Zwang dazu letzten Endes die neoliberale Produktionsform des Selbst. Authentizität macht Menschen zu Produzenten ihrer selbst.“ (S. 59) Warum nicht ein Leben abseits der neoliberalen Logik, fragt Manfé, warum nicht eine unproduktive Form der Verausgabung? „Wir haben in der Tat zugelassen, dass uns die Gewalt der sozialen Welt überwältigte, wie sie auch unsere Väter, Mütter, Großväter und Großmütter überwältigte, und viele andere mehr überwältigte. Es ist an der Zeit, dem Immoralischen das Lachen auszutreiben und der Wahrheit ins Gesicht zu blicken. Die Wahrheit ergründen, so wie es Auguste Rodin bei seinen Skulpturen versuchte.“ (S. 66)

An anderer Stelle beklagt Clara Buchhorn, dass wir nicht mehr von Immoral sprechen. Dabei brauche es neben dem Denken des Moralischen auch ein Denken des Immoralischen. „Treiben wir in der Welt aber allein dem Guten zu, verlieren wir nicht nur das Bewusstsein für Böses, sondern auch für das Gute und unsere Freiheit. Oftmals ist das Leben alles andere als klar – aber wird es klarer, wenn wir uns in einem Einheitsbrei aus augenscheinlich Gutem bewegen und orientierungslos darin versinken, weil wir den Horizont aus den Augen verlieren?“ (S. 201) Ein stimulierendes Buch, das gerade aufgrund seiner Vielfalt zur Reflexion anstößt.