Ulrike Guérot

Nichts wird so bleiben, wie es war?

Ausgabe: 2021 | 1
Nichts wird so bleiben, wie es war?

Ulrike Guérot, Trägerin des Salzburger Landespreises für Zukunftsforschung, hat die Europäische Union in den vergangenen Monaten genau beobachtet. „Ist Corona ein Moment, der europäische Bürger*innen in den Zustand einer gefühlsmäßigen Gemeinschaft versetzt, sodass sie beschließen, gemeinsam einen Staat hervorzutreiben?“ (S. 82), fragt die Direktorin des European Democracy Labs und meint: Covid-19 liefere viele zusätzliche Argumente für eine europäische Staatsgründung. Vor allem der Ruf nach europäischer Autonomie sei zu hören gewesen, gerade aufgrund der Tatsache, dass in ganz Europa kein medizinisches Vlies hergestellt werde oder dass Medikamente nicht autark produziert würden. Die Erfahrungen der Corona-Monate sollten die Notwendigkeit vermittelt haben, die internationale Abhängigkeit zu reduzieren. Nationale Autarkie sei aber für kleinere Länder nicht erreichbar, man werde nie alle wichtigen Produkte selbst produzieren können. Es sei deswegen nur logisch, auf die europäische Karte zu setzen.

Guérot erinnert auch an die gemeinschaftlichen europäischen Anleihen, die zur Bewältigung der Corona-Krise aufgenommen wurden. Der „European Rescue Fund“, eine Kombination aus Direkthilfen und Krediten. Aber wenn die Europäischen Staaten beginnen, gemein-sam zusätzliches Geld aufzunehmen, um den schwächeren Regionen zu helfen, schreite man weiter in die Richtung einer gemeinsamen Entscheidungsfindung – und eines gemeinsamen Staates. Mit Forderungen wird die Autorin konkret. Sie will eine europäische Proto-Staatsbürgerschaft, die allen die gleichen Rechte und Pflichten gewährt. Es soll eine politische Autorität geschaffen werden, die mindestens 30 Prozent des Europäischen BIP verwaltet. Das ist ein Vielfaches des aktuellen EU-Budgets und nur denkbar, wenn erhebliche Teile des Wohlfahrtsstaates europäisiert werden. Man brauche weiterhin eine gemeinsame Außengrenze, ein europäisches Außenamt und direkte europäische Steuereinnahmen. (vgl. S. 92) Die europäische Industrie habe das nationalstaatliche Korsett bereits weitgehend abgestreift und die europäischen Bürgerinnen und Bürger seien mit ihren Wünschen wiederum viel weiter als die (meisten) Politikerinnen und Politiker. Deswegen setzt Guérot auf eine Allianz zwischen dem produzierenden Gewerbe und der Zivilgesellschaft, die das Ziel einer neuen Sinnstiftung für Europa habe.