Daniel Schreiber

Die Zeit der Verluste

Ausgabe: 2024 | 2
Die Zeit der Verluste

Daniel Schreibers Essays sind etwas Besonderes. „Zuhause“ heißt einer aus dem Jahr 2017, „Allein“ wurde 2021 zum Bestseller, „Die Zeit der Verluste“ können wir nun 2023 lesen. Schreiber nähert sich bei diesen Publikationen einem Begriff, einem Konzept, motiviert durch und eingebettet in autobiographische Gegebenheiten. Es ist ein Suchen, ein Heranzoomen an das Selbst, ein Herauszoomen, um dem Verständnis des Individuums als Teil der Gesellschaft und der Geschichte gerecht zu werden. Dabei bezieht sich Schreiber auf subjektive Empfindungen und Erfahrungen, liefert zugleich aber eine damit verwobene Rechercheleistung, die etwa Gedanken von Simone de Beauvoir, Jacques Derrida, Sheila Heti oder Eva Horn in das Gesagte integriert. Schlussendliche Antworten gibt es nicht, kann es nicht geben, gerade in diesem aktuellen Buch wird das deutlich, das vom Tod des Vaters im Speziellen und von Verlusten im Allgemeinen handelt. Es geht vielmehr um die Fähigkeit, Veränderung und Verwandlung zu akzeptierten, sich darauf einzulassen, dies dabei als nicht endlichen Prozess zu verstehen, sondern als beständige, an äußere und innere Umstände angepasste Aufgabe. Auch ein schlussendliches Verstehen gibt es nicht, kann es nicht geben, wenn wie hier Trauer und der Schmerz der Trauer im Mittelpunkt stehen. Es ist viel eher das Zeichnen eines Netzes um eine Leerstelle herum, die sich als Variante zeigt, um zu beschreiben, um sich in Beziehung zu sich selbst, einem Zustand, einem Konzept, einem Begriff zu setzen. Auf diesem Weg zu Akzeptanz und Veränderung begleiten wir den Autor, der durch seine Offenheit und Reflektiertheit ermöglicht, dass wir einerseits seine Erlebnisse mitlesen und mitfühlen, aber auch mit den vermittelten Parametern potenziell unsere eigene Position hinterfragen und neu verhandeln. Daniel Schreiber lässt uns schließlich auch daran teilhaben, mit welchem Stand des Fühlens und Verstehens er selbst nach intensiver Auseinandersetzung das letzte Kapitel schreibt, es liest sich hoffnungsvoll: „Ich werde meine Trauer – die um meinen Vater und die um den Zustand der Welt – spüren, aber sie wird mich nicht mehr so erschüttern. Ich werde mich traurig fühlen, aber nicht mehr durchgehend traurig sein. Ich werde mir Sorgen machen, aber meine Angst vor der Zukunft wird mich nicht mehr lähmen. Ich werde mir regelmäßig ins Bewusstsein rufen, dass die Zukunft trotz allem noch nicht geschrieben, sondern Zukunft ist“ (S. 127).