Philosoph, Biologe, New Yorker und Stoiker: Massimo Pigliuccis Buch ist sein Autor gewissermaßen eingeschrieben. Mit einer gewissen Leichtigkeit schwebt er durch die im antiken Griechenland entstandene Philosophie des Stoizismus und wirft dabei die großen gesellschaftlichen Fragen eher indirekt auf. Epiktet-Orginalzitate dienen als philosophische Reisebegleitung und werden gekonnt in die Gegenwart übertragen. Pigliuccis teils ausschweifende Erzählungen kommen immer wieder auf die Kernelemente des Stoizismus zurück. Diese betreffen verschiedenste Lebenssituationen und sollen Beistand zur großen Frage “Wie sollen wir unser Leben leben?” (erstmals S. 25) liefern.
Zentral hierfür ist die stoische Dichotomie der Kontrolle zu nennen: Welchen möglichen Einfluss können wir als Individuum auf unsere Welt nehmen? Am Anfang treffen wir eine Wahl, setzen uns Ziele und wählen die Mittel zur Zielerreichung. „Aus der Tatsache, dass wir eine Wahl getroffen haben, folgt noch lange nicht, dass wir einen bestimmten Verlauf des Geschehens erzwingen können” (S. 43ff.). Es gibt Abwägbarkeiten, die sich zu unseren Ungunsten entwickeln können und es gibt Unabwägbarkeiten, die wir vorher nicht gewusst werden können - sie entziehen sich unserer Kontrolle. Die Dichotomie der Kontrolle besagt, dass wir uns darauf konzentrieren sollten, worauf wir wirklich Einfluss haben - anstatt uns an dem Ungreifbaren abzuarbeiten. Einem angeblichen stoischen Gleichmut, welcher sich in fehlendem gesellschaftlichem Engagement niederschlagen könnte, tritt Pigliucci entschieden entgegen. Sowieso kommt er auf die Dichotomie der Kontrolle immer wieder zu sprechen und beleuchtet sie aus verschiedensten (Alltags-)Perspektiven, sodass mir diese Lebensphilosophie nach der Lektüre sehr anwendbar scheint.
Gleiches gilt für die stoische Handlungsorientierung an der eigenen Tugend / Weisheit. Denn “sie ist die einzige menschliche Fähigkeit, die unter allen Umständen und denkbaren Situationen gut ist” (S.107). Der Aspekt der Tugend-Orientierung und die Dichotomie der Kontrolle als zwei zentrale Werte des Stoizismus scheinen sich optimal zu ergänzen, ist die Tugend doch etwas, auf das wir selbst Einfluss haben, während es nicht als besonders weise gelten kann, Dingen nachzujagen, die man nicht beeinflussen kann.
Pigliucci definiert nie genau, was unter den Begriffen Tugend / Weisheit (auch Charakter und Integrität werden hier beinahe synonym verwendet) zu verstehen ist, führt aber dennoch gekonnt an die dahinter liegenden Werte heran. Es ist eine besondere Qualität des Buchs, diese beiden Aspekte immer wieder unaufdringlich, bild- wie beispielhaft aufzugreifen und so ein Bewusstsein dafür zu schaffen, wie der Stoizismus in Pigliuccis Sinne zu verstehen wäre. Das Buch mündet in einem Schlusskapitel, das zwölf stoische Übungen enthält, die auf 26 Seiten so viel Weisheit enthalten, dass allein deshalb die Auseinandersetzung mit dem vorgestellten Titel lohnt.
Insgesamt liefert „Die Weisheit der Stoiker“ eine profunde, und zugleich allgemeinverständliche Einführung in das Thema. Die Art der beispielhaften Aufbereitung führt zu dem ein oder anderen zustimmenden Nicken. Teils geht es aber auch ans Eingemachte. So plädieren die Stoiker für einen lockereren Umgang mit dem Tod, welcher sie angeblich psychisch stabiler, ja resilienter durchs Leben gehen lässt. Das Kapitel “Über Tod und Freitod” enthält einige ungewöhnliche Sichtweisen, die auch sauer aufstoßen können. Doch gerade, wenn essenzielle Themenkomplexe wie Natur, Freundschaft oder Tod besprochen werden, gilt es das Buch genauer zu studieren. Anfangs steile Thesen werden im Detail oft abgeschwächt und können durch interessante Blickwinkel durchaus Sichtweisen eröffnen, die uns die Gestaltung von Zukunft erleichtern.