Die Vergangenheit der Zukunft

Ausgabe: 1992 | 4

Diese Zusammenstellung bereits früher veröffentlichter Texte bündelt thematisch geordnet Lems Kritik an der Futurologie, seinen Kulturpessimismus und bringt gleichzeitig seine früheren Prognosen - die seiner Meinung nach zu Unrecht fast unbeachtet blieben - wieder in Erinnerung. Von seinen bereits vor 30 Jahren in "Summa Technologiae" gemachten Vorhersagen z. B. zur „virtual reality" und Gentechnologie sind viele eingetroffen. Die "Nicht-Erwähnung" im „Citation Index" verleitet ihn zur jammervollen Klage über das Nichtbeachten der Erben Kassandras. Mit Hinweis auf zentrale Textpassagen werden die Prognosen durch den "Zusatz 1991" überprüft. Lem selbst hält es für eine nicht allzu großartige Leistung, schon vor 30 Jahren ein exponentielles Wachstum auf der endlichen Erdoberfläche für nicht möglich gehalten zu haben. Im Aufsatz "Leben in der AIDS-Zeit" widerlegt der Autor die These, Aids komme aus dem Labor für biologische Waffen. Er beschreibt die Haupteigenschaften des Virus, vermeidet aber gleichzeitig angstmachende Prognosen über "das Ende unserer Gattung" durch diese Pandemie. Er vertraut auf neues Wissen, das wir auch bekommen werden, "wiewohl nicht so schnell, wie wir es bekommen möchten". In den abschließend vorgebrachten Prognosen bis zum Jahr 2000 und für das nächste Jahrhundert wird die Beschleunigung der Veränderung - "im politischen, technologischen, ökodestruktiven, demographischen und klimatischen Sinn" - hervorgehoben. Die wichtigsten Dilemmata des kommenden Jahrhunderts sind: die Invasion der Technologie in das letzte Naturreservat vergangener Epochen, die Belagerung der sich inselhaft abkapselnden reichen Staaten, die Vergrößerung der Kluft zwischen Reich und Arm sowie die Bloßlegung der Schwächen des Marktes als Weltregulator. Insgesamt wird die "Dummheit erheblichen Auftrieb erhalten". Gerade deshalb aber brauchen wir Zukunftsvisionen, "weil der Mensch ohne Zukunft nicht leben kann". Alfred Auer

Lem, Stanislaw: Die Vergangenheit der Zukunft. Frankfurt/M. (u.a.): Insel-Verl., 1992. 144 S., DM 24,-/ sFr 20,30/ öS 187,20