Die Ökonomie von Gut und Böse

Ausgabe: 2013 | 3

Der renommierte tschechische Ökonom Thomas Sedlacek unternimmt in seinem Buch „Die Ökonomie von Gut und Böse“ eine Reise durch die Kulturgeschichte der Ökonomie.

Dabei geht er in die Tiefen unserer wirtschaftlichen Ordnung und zeigt Verbindungen zwischen moralischen Haltungen und ökonomischen Logiken auf. Denn die Wirtschaft, so Sedlacek, sei keine reine Mathematik. Die Zahlen und Formeln erzählen uns Geschichten über die Welt, wie wir sie sehen und deuten. Denn Geschichten sind grundlegend für menschliches Handeln. Sie leiten, geben Orientierung und setzen Maßstäbe (S.16).

Das Buch ist in zwei Hauptteile gegliedert. Der erste Teil befasst sich mit der Geschichte der Ökonomie anhand von sieben Epochen. Im zweiten Teil unternimmt Sedlacek eine inhaltliche Annäherung an diese Epochen und analysiert die kulturellen Implikationen der vorherrschenden ökonomischen Mythen.

Vom Gilgamesch-Epos bis zu Adam Smith untersucht Sedlacek die Verbindung zwischen Mythologie und den herrschenden ökonomischen Konzepten. Sedlacek zeigt, wie Ökonomie und Moral einander bedingen. Die scheinbare Objektivität ökonomischer Zahlen wird aufgehoben und die Rolle von kulturellen Wertvorstellungen für das ökonomische Handeln beleuchtet.

 

Paradigmenwechsel

Die historische Perspektive verweist auf die Veränderbarkeit der herrschenden Paradigmen im Laufe der Zeit. Ethische und ökonomische Normen unterliegen einem Wandel und bringen unterschiedliche Menschen- und Weltbilder hervor.

Im Gilgamesch-Epos finden wir erste Elemente, die für das gegenwärtige ökonomische Denken prägend sind. Menschliche Beziehungen als Störung der wirtschaftlichen Effizienz, die Unterwerfung der wilden Natur als Heldentat oder die Stadt als künstlicher Lebensraum, der die Natur ersetzt - diese Leitbilder sind bereits im Gilgamesch-Epos präsent. (S. 36, 41, 48)

Über das Christentum mit dem Streben nach Harmonie zwischen dem Materiellen und dem Spirituellen und Descartes als mechanistischen Denker, der die Vorstellung vom Menschen als Maschine prägt, endet die historische Reise bei Adam Smith. Sedlacek wagt eine Rehabilitation von Smiths Denken, dem der Egoismus als treibende Kraft der Ökonomie zugeschrieben wird. Der „Wohlstand der Nationen“ sei missverstanden worden, behauptet Sedlacek und betont die zwischenmenschliche Verbundenheit als Kernelement von Smiths Denken.

Sedlacek zieht eine Verbindung zwischen der kulturellen Bedeutung ökonomischer Mythen und dem psychologischen Modell von Carl Gustav Jung, bei dem Archetypen die Grundelemente des menschlichen Seelenlebens darstellen.

Gerade in Krisenzeiten, wenn die Orientierung abhanden kommt, lohne es sich, so der Autor, über die Archetypen Bescheid zu wissen, um den tieferen Sinn im Chaos erkennen zu können.

Welche Wirkung entfalten diese Mythen im Laufe der Zeit? Dieser Frage widmet Sedlacek den zweiten Teil der „Ökonomie von Gut und Böse“. Er zeigt auf, wie im Gilgamesch-Epos das Begehren in die Welt kommt und der zivilisierte Mensch lernt nach etwas zu verlangen, was er nicht hat und auch nicht wirklich braucht. So werden Bedürfnisse geboren, die über die Grundbedürfnisse hinausgehen und nur durch Überfluss befriedigt werden können. Die Genügsamkeit wird abgeschafft (S. 273).

 

Mathematisierung der Ökonomie

Sedlacek stellt dar, wie sich die Ökonomie von einer moralphilosophischen zu einer rein mathematischen Wissenschaft entwickelt hat, die nach Präzision, Eindeutigkeit, Vorhersagbarkeit und Planbarkeit strebt.

Die Mathematisierung des menschlichen Verhaltens im 21. Jahrhundert beruht auf der Annahme, mathematische Methoden könnten die gesamte Welt ausreichend erklären.

Descartes Erbe ist die Personifizierung der Mechanik und der Mathematik als der vollkommenen Vernunft. So wird der Wahrheitsgrad des Wissens an dem Grad seiner Mathematisierung gemessen.Die Verheißung der Mathematik ist enorm, weil sie genau, robust und objektiv ist. Doch wir sollten uns davor hüten, uns von dieser Eleganz verführen zu lassen. Denn das Lebendige mit seinen Emotionen, Widersprüchen, Leidenschaften und Fehlern ist zu groß und zu ungewiss, als dass es sich durch die eine Sprache der Mathematik erfassen ließe.

Die Analogie, die Sedlacek zwischen Mathematik und Sprache herstellt, ist wesentlich. Er zeigt Beschränkungen der Mathematik anhand der Beschränkungen der Sprache auf und so erweist sich der universale Objektivitätsanspruch der Mathematik als Illusion. Denn wie bei Wittgenstein die Grenzen unserer Sprache die Grenzen unserer Welt bedeuten, so markiert auch die mathematische Sprache eine Welt (S. 370).

Zu dieser Welt des ewigen Wirtschaftswachstums und der entmenschlichten Ökonomie kann es aber Alternativen geben, wenn wir die Frage nach dem Sinn wagen, der hinter den Zahlen verborgen liegt. V. N.

 

 Sedlacek, Tomas: Die Ökonomie von Gut und Böse. München: Hanser, 2012. 447 S., € 24,90 [D], 25,65 [A], sFr 34,90

ISBN 978-3-446-42823-2