Die Könnensgesellschaft

Ausgabe: 2009 | 3

Der Titel dieses Buches ist bewusst gewählt. Während alle von der Wissensgesellschaft reden, geht Christine Ax einen Schritt weiter. Sie hinterfragt die vorschnelle Euphorie über die neue wissensbasierte Gesellschaft und stellt dieser eine Gesellschaft der Fähigkeiten bzw. Befähigung – also die Könnensgesellschaft – entgegen. Dabei lehnt die Autorin selbstredend Wissen nicht ab, sondern geht über dieses hinaus: „Könnerschaft erwächst aus dem Handeln. Wissen ist ein Teil und Voraussetzung von Können. Können ist eine praktische Form des Wissens.“ (S. 34) Könnerschaft erfordere sehr viel Wissen, jedoch „ein an Erfahrung gesättigtes, auf Erfahrung beruhendes Wissen.“ (S. 35) Und anders als für Wissen gebe es für Können immer einen Beweis: „das Handeln“ (ebd). Ax kritisiert die Beliebigkeit der modernen Informationsgesellschaft: „Wirklich wichtiges Wissen, das für unser Handeln relevant ist, können wir nicht beliebig vermehren.“ (S. 44) Jeder rein mengenmäßige Zugang zu dieser Frage gehe an der Sache vorbei und erzeuge eine „dumme Hektik, einen gefährlichen Stress, der uns unfähig macht, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden und die richtigen Entscheidungen zu treffen“ (ebd.). Die Autorin problematisiert das noch immer an Wissensvermittlung orientierte (deutsche) Schulsystem und fordert – mit dem Pädagogen Peter Struck („Die 15 Gebote des Lernens“) einen ganzheitlichen, alle Sinne und auch das Tun einschließenden Unterricht. Und sie wendet sich entschieden gegen die fragmentierte, in monotone Einzelschritte zerlegte, für viele immer sinnloser erscheinende industrielle Produktionsweise, die mittlerweile auch zahlreiche Dienstleistungsberufe erfasst habe (etwa Callcenter).

 

 

 

Kultur des Tätigseins

 

In Rückblende auf Philosophien des Tätigseins von Aristoteles bis Hannah Arendt, aber auch in Würdigung früher Kritiker des Industrialismus wie den Verteidiger handwerklichen Produzierens gegen die Einführung der ersten Fabriken im 19. Jahrhundert, John Ruskin, den utopischen Sozialisten William Morris oder den gegen die Verzweckung des Lebens anschreibenden Schriftsteller Oscar Wilde, plädiert Ax für ein Tun, das Selbstverwirklichung ermögliche und den Sinn in sich selbst finde. Sie wird dabei etwa auch fündig im buddhistischen Denken, das Vervollkommnung „in der Arbeit“ als „Arbeit an sich selbst“ sucht. Am stärksten verwirklicht sieht die Autorin diese Ansprüche an Arbeit im Handwerk (ihr letztes Buch war der „Zukunft des Handwerks“ gewidmet), das geprägt sei von „Freiheit und Selbstbestimmung“, „Arbeit an der eigenen Könnerschaft“, „Handeln in Harmonie und mit ethischen Prinzipien“, „Dauerhaftigkeit und Wertigkeit der Arbeit und des Werkes“ sowie „Respekt und Wertschätzung für die eigene Arbeit und die Arbeit der anderen“ (S99f).

 

„Rückwärtsgewandte Sozialromantik“ könnte man einwenden, war es doch gerade die industrielle Produktionsweise, die unseren materiellen Massenwohlstand ermöglicht hat. Ja, das stimmt. Doch die Autorin kritisiert auch diesen als entfremdend: „Eine Gesellschaft, die Menschen ´produziert´, die nichts mehr können (dürfen) außer konsumieren, fühlt sich ärmer als viele ´arme´ Gesellschaften.“ (S. 27f) So sieht Ax in einem post-industriellen (und postfossilen) Wirtschaften auch die attraktivste und obendrein einzig nachhaltige Zukunftsstrategie. „Das Prinzip Industrie ist am Ende“ meint sie pointiert (S. 109). Dass wir heute an die Grenzen des Wachstums stoßen, sei „so gesehen das Beste, was uns widerfahren kann. Die Krise ist die Chance.“ (S. 24) Ax lässt es dabei nicht mit Appellen etwa an Konsumverzicht bewenden, sondern sie fordert politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen, die einen Weg in nicht entfremdende Arbeit ermöglichen. Als Hauptursachen für die Zementierung des Status quo (in Deutschland) sieht sie den „Egoismus der Eliten“, die „Abschottung nach unten“ und eine „unsoziale Bildungspolitik“ (S. 112), weiters die „einseitige Politik zugunsten der Großindustrien und der Exportwirtschaft“ sowie die „Umverteilungsorgien der vergangenen Jahrzehnte, auch in Folge der Liberalisierung der Finanzmärkte“ (ebd). So seien auch die gegenwärtigen Strategien gegen die Finanz- und Wirtschaftskrise kontraproduktiv, da sie nicht bzw. zu wenig auf die Kleinbetriebe abzielen: „Die ungedeckten Schecks zahlen die `Produktiven´“ (S. 115), meint die Autorin mit Blick auf die enorme Staatsverschuldung.

 

 

 

Ökonomie der Nähe

 

Wo sieht Ax konkrete Zukunftspfade? In der „Renaissance handwerklicher Produktion“, in einer „Ökonomie der Nähe“, im „Reichtum Region“ („Es ist möglich, unseren alltäglichen Wohlstand in unserer Mitte zu erzeugen.“ S. 217), in Bewegungen wie „Slow food“ oder „Slow work“, in einer „Wirtschaft von unten“ vieler Kleinbetriebe oder Genossenschaften.

 

„Alles nur Schlagworte“, könnte hier wieder als Einwand kommen. Mitnichten, meine ich. Zum einen gibt es mittlerweile zahlreiche Initiativen eines anderen Wirtschaftens, es gibt auch noch die Tradition des Handwerks. Ein Umdenken und dann auch ein alternatives Handeln ist freilich gefordert sowohl von uns als KonsumentInnen (den Nachfragern von Produkten) als auch seitens der Wirtschaftsförderpolitik, die es in der Hand hätte, gezielt regionale Wirtschaftskreisläufe statt Großkonzerne zu unterstützen. Ax geht sogar weiter, sie meint, dies sei die einzige, zukunftsfähige Strategie. Vielen Menschen hier und weltweit den Zugang zu Kapital und Produktionsmitteln sowie zum Erwerb von Können und Wissen zu ermöglichen, sei die zentrale Voraussetzung für eine „demokratische, nachhaltige Wirtschaft“, ist sie überzeugt. Nur wenn die Weltwirtschaft auf „sich selbst tragenden und sich selbst regulierenden dynamischen und lebensfähigen Systemen“ beruhe, so ihre Grundthese, sei die „Suprastruktur Globalisierung überhaupt beherrschbar und ein Chaos vermeidbar“ (S. 252). Ein zentraler Gedanke angesichts des zunehmenden Steuerungsversagens.

 

 

 

Andere Kultur des Gütergebrauchs

 

Ein anderes Produzieren unserer Güter und eine andere „Kultur ihres Gebrauchs“ greift demnach viel weiter als die gegenwärtig praktizierten „Konjunkturbelebungspakete“, die auf noch mehr Globalisierung, Mengenwachstum und Exportorientierung setzen, ohne die destruktiven Tendenzen des von Großkapital und Großunternehmen getriebenen Systems zu hinterfragen. Um Missverständnissen vorzubeugen: Ax ist für Unternehmertum, aber für eines, das für die lokalen Bedürfnisse produziert und sinnvolle Arbeit ermöglicht. Aus dem ökologischen und sozialen Di- lemma gibt es ihrer Meinung nur einen Ausweg „gute Arbeit, gute Produkte und eine nachhaltige Wirtschaft von unten“ (S. 259). Ein Ziel, für dass es sich allemal lohnt, gemeinsam zu arbeiten! H. H.

 

Ax, Christine: Die Könnensgesellschaft. Mit guter Arbeit aus der Krise. Berlin: Rhombos, 2009. 276 S., € 29,60 [D], 30,50 [A], sFr 50,20

 

ISBN 978-3-938807-96-5