Die demokratische Fürstenherrschaft

Ausgabe: 1997 | 2

Wer Rezepte gegen die gegenwärtigen Krisen der Politik erwartet, wird dieses Buch sehr rasch zur Seite legen. Wer hingegen die Einladung von Danilo Zolo annimmt, gemeinhin als selbstverständlich (hin)genommene Begriffe wie ”Volkssouveränität". "Pluralismus", "Mitbestimmung" oder "Gemeinwohl" kritisch zu hinterfragen und die Demokratietheorie auf ihren aktuellen Stand zu bringen, kommt nicht mehr davon los. Einem politischen Realismus verbunden, der sich nicht an Kant, sondern vielmehr an Machiavelli orientiert, und das Ziel von Politik in der "kollektiven Verminderung der Unsicherheit" ausmacht, lehnt der Rechtssoziologe der Universität von Florenz - dies seine erste Provokation - jene Denktradition, die ethisch-moralische Kategorien als handlungsleitende Prinzipien der Politik ausmacht. grundsätzlich ab. Er kritisiert Rawls Gerechtigkeitstheorie nicht weniger als Habermas Anspruch auf kommunikative Verständigung über universalistische   Werte. Völlig fremd ist dem sich der politischen Philosophie zurechnenden Intellektuellen aber auch die Beteiligungsdemokratie etwa im Sinne von Hannah Arendts "Agora", da das Modell der Polis nicht auf die modernen Großgesellschaften übertragen werden könne. Doch auch die klassische Vorstellung von der repräsentativen Demokratie als über freie Wahlen ausgetragenem "Wettbewerb um die Führerschaft" - dies die zentrale Provokation des Buches - wirft Zolo als gefährliche Selbsttäuschung über Bord. Wir leben in einer "demokratisierten Fürstenherrschaft", ist der "Ketzer" überzeugt und nennt hierfür zwei Gründe: Zum einen führe die Verselbständigung der politischen Parteien, deren primäres Ziel der Selbsterhalt (im Sinne von Luhmanns selbstreferentiellen Systemen) geworden sei, zu Neo-Korporatismus, Lobbyismus und Abkoppelung von den Wählerinnen (Aufhebung der ”Responsivität") Zum anderen zerstörten die Massenmedien die politische Kommunikation und Reflexion, nicht nur, indem sie die Selektion der politischen Inhalte ("Agenda-Setting") vorgäben, sondern mehr noch, indem sie die nicht-politischen ins Zentrum der Politik rückten, wie die geforderte Telegenität politischer Kandidaten, die zunehmende Bedeutung der Meinungsumfragen oder die Übertragung kommerzieller Werbung auf die politische Kommunikation zeige. Der Autor konstatiert eine ”Narkotisierung" und Abstumpfung durch die medial vermittelte Politik, die zum einen Komplexität in problematischer Weise reduziere und zum anderen von den traditionellen Formen "kollektiver Beteiligung am gesellschaftlichen und politischen Leben" wegführe. Doch wo liegen die Auswege? Zolo verwehrt sich gegen das "Wunschdenken der Dogmatiker und Moralisten", vielmehr plädiert er angesichts der Herausforderungen durch weltweite ökonomische Ungleichgewichte, ökologische Gefährdungen und den zunehmenden Bevölkerungs- und Migrationsdruck für eine realistische Neukonzeption der Demokratie, in der die Politik wieder in ihre weltlichen Funktionen einer Organisation für Sonderinteressen, für Konfliktvermittlung, für Sicherheitsgarantie und für den Schutz bürgerlicher Freiheiten" eingesetzt werden soll. Nicht nur die neuen faschistischen Bewegungen in Frankreich oder Zolos Heimat Italien sowie der wachsende Rassismus in ganz Westeuropa, auch Korruptions- und Justizskandale, Machtverfilzungen und nicht zuletzt die chronischen Handlungsdefizite der Politik legen es nahe, die Warnungen dieses Buches ernst- und als homöopathische Therapie gegen politische Naivität oder besserwisserische Selbstzufriedenheit anzunehmen. H. H.

Zolo, Danilo: Die demokratische Fürstenherrschaft. Für eine realistische Theorie der Politik. Göttingen: Steidl, 1997.256 S., DM 38,- / sFr 37,- / öS 277