Die politischen Umbrüche in Europa 1990/91 haben eine alte Ordnungsstruktur zerbrochen, ohne daß eine neue an ihre Stelle getreten wäre. Das konfrontiert auch die vor dem Hintergrund der Nachkriegsordnung von Jalta 1945 und eines bipolaren Weltsystems entstandenen Institutionen mit Legitimationsproblemen. Für den Publizisten und ehemaligen UN-Botschafter Hans Arnold wird dies insbesondere an zwei Dilemmata deutlich: dem der EG und dem der NATO. Die Geschichte der westeuropäischen Integration, deren Ursprünge mit dem Ziel einer gegenseitigen Kontrolle der rüstungsrelevanten Kohle- und Stahlproduktion verwoben sind ("Montanunion"), war von Anfang an durch ein Nebeneinander von Gemeinschafts- und diesen oft entgegenstehenden nationalstaatlichen Interessen gekennzeichnet. Dies führte in letzter Konsequenz zu einer kritischen Konstellation: Während die Wirtschaft immer staatenunabhängiger agierte, war es auf politischer Ebene nicht gelungen, adäquate Institutionen mit entsprechenden Gestaltungsmöglichkeiten zu schaffen. Anhand der Bereiche Agrarwirtschaft und Industrie illustriert der Autor die divergierende Interessenlage von politischer Integration und liberaler Marktordnung. Dieses Grundproblem wird in der vorliegenden Analyse auch als Schlüssel dazu präsentiert, warum die EG in vielen Politikbereichen (Verbraucherschutz, Sozialpolitik, Umwelt, Kultur) keine den tatsächlichen Problemen entsprechenden Strategien entwickelt hat, was mit "verbalen Fluchtburgen" ("Subsidiarität", „Europa der Regionen") übertüncht werden soll. Werden vor dem so entworfenen Szenario Grenzen der europäischen Integration aufgezeigt, stellt sich die Sinnfrage der NATO, deren Existenzgrundlage mit dem Ost-West-Konflikt entschwand, mit steigender Intensität. Deren Funktionswechsel von einem militärischen Zweckbündnis zu einem militärischen Instrument für politische Zwecke sieht der Autor mit großer Skepsis entgegen. NATO und EG, so ließe sich zusammenfassen, sind in ihrer bisherigen Form aufgrund innerer Widersprüche und äußerer Veränderungen an ihrem Ende angelangt. Wie ihre notwendige Umorientierung aussehen sollte, wird zwar als Frage aufgeworfen, doch bestenfalls sehr vage beantwortet. Womit sich auch Hans Arnold dem Verdacht aussetzt, mit wohlklingenden Etiketten zu prahlen ("europäischer Staatenbund"), auf deren Präzisierung es eigentlich ankäme. G.S.
Arnold, Hans: Europa am Ende? Die Auflösung von EG und NATO. München, (u. a.): Piper, 1993. 224 S., DM 17,90/ sFr. 15,20/ öS 139,60