Aus der Erkenntnis, daß "die Diskrepanz zwischen faktischer Entwicklung und oft einseitig emotionaler Sichtweise ... die Sicherung der bisher erreichten Lebensqualität bedroht", fordern die beiden Autoren "einen konstruktiven Dialog zwischen Industriekritikern und Industrievertretern, um zu einer ausgewogenen Balance der Interessen beizutragen". Eine kurze Darstellung des historischen Ablaufs der Technologieentwicklung endet in der Feststellung, daß sich 1979 ein Teil "frustrierter Protestler" zur Gründung einer alternativen Partei zusammenfand, die "mit einer Mischung aus notwendiger Kritik ... mit Appellen an die Angstbereitschaft der Menschen, der Verweigerung einer Übernahme von Verantwortung und vagen Visionen von einer besseren Gesellschaft ausreichend viele Menschen ansprechen konnten, um eine Stammwählerschaft zu gewinnen."
Es ist seither in der Tat schwieriger geworden, dem aufmerksamen Beobachter die Triumphe der (chemischen) Industrie vorbehaltlos klarzumachen. Und in Anbetracht der wachsenden Zahl kritischer Informationen mag gar die eine oder andere (freiwillige?) Investition zum Zwecke des Umweltschutzes nicht gebührend zur Kenntnis genommen worden sein. Es fällt jedoch schwer, die nachfolgenden Abschnitte über "Chancen und Risikobewertung in der Chemie, Arzneimittel, Pflanzenschutz und Kernenergie als ernsthaften Beitrag zum angemahnten konstruktiven Dialog zu verstehen. Selbst wenn es zutrifft, daß die Arbeit in der Chemieindustrie kaum gefährlicher ist als eine Aufgabe im Verwaltungsbereich, der Anteil der Chemie an der Luftbelastung (bei abnehmender Tendenz) nur 3 Prozent beträgt und deutsche 'Reaktoren sicherer sind als sowjetische: Frappierend ist die (Selbst)Sicherheit, mit der über sachlich fundierte Einwände von Kritikern der Gentechnologie oder des konventionellen Landbaus hinweggegangen wird, der uns zwar mehr, aber nicht hochwertigere Nahrungsmittel beschert. Die Annahme, daß deutsche Hochsicherheitslabore die Freisetzung gentechnisch manipulierter Organismen "nach menschlichem Ermessen ausschließen, obwohl keineswegs gesagt ist, daß neue Organismen sich dort negativ auswirken würden", läßt die gesellschaftlich einzufordernde Verantwortung ebenso vermissen wie die nur vordergründig beruhigende Feststellung, "daß bei unseren Kernenergieanlagen Vorsorge getroffen wurde, die Schadensauswirkungen auch im Katastrophenfall so klein wie möglich zu halten".
Eine derartige Argumentationsweise wird zum Abbau des Mißtrauens wenig beitragen, sondern eher die Einsicht verstärken, daß die Notwendigkeit umfassender Technikkontrolle und -folgenabschätzung ein Anliegen aller Betroffenen ist und nicht den Unternehmen in Eigenverantwortung überlassen werden darf. Neue Formen der Vermittlung sind zu suchen, die Bürger in Entscheidungsprozesse einzubinden und nicht nur vor vollendete Tatsachen zu stellen. Das bisherige Instrumentarium technischer Fortschrittskontrolle reicht offenbar nicht aus, um zu tun, was uns guttut.
Lingen, Peter und Bayer: Rolf: Chemie ohne Gefahr. Forschung und Entwicklung für die Sicherheit industrieller Produkte und Verfahren. Stuttgart: Bonn Aktuell, 1988. 204 S. DM24,80/sfr21,-/öS 193,40