Des Reichtums fette Beute

Ausgabe: 2011 | 2

Ansätze zu einer europäischen Finanzarchitektur

 

Was ist nötig, um einen Crash der Finanzmärkte bis hin zur Gefahr von Staatsbankrotten in Zukunft zu verhindern? Brauchen wir den totalen Systemwechsel oder können wir auf die moralische Einsicht der handelnden Individuen hoffen? Möglichkeiten eines dritten Weges, in dem systemische Korrekturen des Finanzsystems unter die Lupe genommen werden, haben sich Stefan Wally und Hans Holzinger angesehen.

 

 

 

Europa als Regulator

 

Die Finanz- und Wirtschaftskrise der vergangenen Jahre hat zu einer Welle von Publikationen geführt, in denen die Zusammenhänge des ökonomischen Einbruchs dargestellt wurden. Weit weniger wurde hingegen vermittelt, wie zukünftige Krisen verhindert werden können. Ein Hauptstrang der Publikationen sieht das freilich nicht als ihre Aufgabe an: In ihnen wird argumentiert, dass die Krisen systemimmanent sind. Wir können die Krise verstehen, sie ohne grundlegende Umgestaltung des Wirtschaftssystems aber für die Zukunft „abzuschaffen“, wird hier für undenkbar gehalten. Ein zweiter Strang individualisiert die Ursachen der Krise und kann sie dann durch ethisches Handeln bei Entscheidungsträgern vermeintlich lösen. Wenn wir umdenken, können wir (z. B.) den Egoismus einbremsen und verhindern so die nächste Krise. Unspektakulär im Vergleich zur Systemüberwindung und zu moralischen Erneuerungen sind Texte, in denen steht: „Die Durchsetzung der auf europäischer Ebene vereinbarten Regelungen liegt ohnehin weiter in ihren Händen, wenngleich die Zusammenarbeit in ESC und CESR den Gruppendruck zu relativ einheitlichem Handeln erheblich gesteigert hat. Mit der Umsetzung des FSAP hat die EU erheblich politische Gestaltungskapazitäten bewiesen.“ (Gottwald, S. 221). Dies ist eine Passage aus dem Buch von Jörn-Carsten Gottwald zur Regulierung der Finanzmärkte in der EU. Gottwald dokumentiert darin das Bemühen um eine dritte Antwort auf die wiederkehrenden Wirtschaftskrisen. Mehr zu den Details und was er mit dem Zitat meint am Ende dieses Kapitels. Zuerst zur Grundlage der Überlegungen.

 

 

 

Des Reichtums fette Beute

 

Gustav A. Horn leitet das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung in der Hans-Böckler-Stiftung. Auch er hat ein Buch vorgelegt, in dem er die Zusammenhänge der Finanz- und Wirtschaftskrise darstellt. Er macht dies überzeugend und lesbar, reiht sich dabei in die umfangreiche, zum großen Teil gute Literatur zum Thema ein. Horn sieht an erster Stelle der Unsicherheitsquellen unseres Wirtschaftssystems die Finanzmärkte. Er möchte, dass verhindert wird, dass zu viele finanzielle Ressourcen in zu riskante Anlageformen fließen. (Horn, S. 183) Um dies zu erreichen, schlägt er zwei Regeln vor: Erstens soll strikt zwischen Banken und anderen Akteuren auf den Finanzmärkten unterschieden werden. Das sorgt für Transparenz, weil Banken die Verantwortung für den regulären Zahlungsverkehr und die Kreditvergabe an die gesamte Wirtschaft übernehmen. Zweitens sollen gleiche Geschäfte gleich reguliert werden, unabhängig davon, wer sie durchführt. Das soll unter anderem verhindern, dass regulierte Banken riskante Geschäfte an eigene Nicht-Banken ausgliedern. Schließlich sollen Finanzmarktgeschäfte mit einer deutlich höheren Rücklage an Eigenkapital abgesichert werden. Viele der Forderungen sollten in Europa gemeinsam umgesetzt werden, darüber hinaus würde Horn der Europäischen Zentralbank eine konjunkturpolitische Verantwortung zuschreiben.

 

 

 

Europa - Quo Vadis?

 

In Horns Buch findet damit die Tradition der Wirtschaftstheoretiker eine Fortsetzung, die einer Internationalisierung der Finanzmärkte eine übernationale Regulierung entgegensetzen wollen. Für viele von ihnen ist die Europäische Union dazu der Hauptbezugspunkt. Gudrun Hentges und Hans-Wolfgang Platzer haben das Buch „Europa – Quo Vadis?“ herausgegeben, das sich auch der Frage der europäischen Wirtschaftspolitik widmet. In einem eigenen Kapitel über „Weltwirtschaftskrise und Perspektiven der europäischen Wirtschafts- und Sozialpolitik“ nähern sie sich dem Thema von Horn aus der Sicht der „European Union Studies“ an. Hans Jürgen Bieling schreibt in seinem Text „Eine gemeinsame europäische Krisenüberwindungsstrategie - Probleme und Perspektiven“ auch über die Frage, inwieweit eine europäische Finanzmarktregulierung erfolgversprechend ist.

 

Bieling sieht in der Folge der Finanzkrise drei Bereiche, in denen sich die Europäische Union in die Richtung entwickelt, wie sie Horn vorschweben. Bieling spricht von der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank, dem globalen Krisenmanagement und in der Finanzmarktregulierung.

 

In der Geldpolitik habe die Europäische Zentralbank ihre Fixierung auf die Inflationsbekämpfung zumindest relativiert und sich verstärkt den übergeordneten Problemen zugewandt. Vor allem ab Mai 2009 habe sie durch Zinssenkungen schnell auf den Wirtschaftseinbruch reagiert. In der globalen Koordination des Krisenmanagements war die Europäische Union „überaus aktiv“, die Ergebnisse der G-20 Diplomatie allerdings „recht bescheiden“ (Europa – Quo Vadis?, S. 86).

 

Schließlich komme es auch bei der Regulierung der Finanzmärkte zu Fortschritten. Einige bislang sehr marktliberal definierte Standards wurden infrage gestellt und die Diskussion über eine umfassendere und strenger überwachte Regulierung begann. „Der Fokus richtete sich darauf, grundsätzlich keine unreglementierten und unüberwachten Finanzmarktsegmente mehr zuzulassen, die Bestimmungen zu Kapitalrücklagen von Kreditinstituten neu zu regeln, Hedge Fonds strenger zu überwachen, die Operationsweise von Rating-Agenturen zu verändern, Steueroasen auszutrocknen, die Gehälter und Boni von Managern zu beschneiden sowie (…) ein effektiveres, auch systematischere Risiken erfassendes Überwachungs- und Frühwarnsystem zu etablieren, das in Form von drei neuen supranationalen Überwachungs- und Frühwarnagenturen für Bank-, Versicherungs- und Börsengeschäfte ab Januar 2011 konkrete Gestalt annehmen soll.“ (Europa – Quo Vadis? S. 85).

 

 

 

Regulierung der Finanzmärkte

 

Diese Entwicklung der Europäischen Union kann man auch in dem Buch von Jörn-Carsten Gottwald  nachlesen, das ich zu Beginn dieser Rezensionen anführte. Alles begann mit dem Ruf nach mehr Flexibilität vor gut zehn Jahren: Gottwald beschreibt den Aktionsplan für Finanzdienstleistungen (FSAP), der 1999 eingeleitet wurde. Das Regime der EU in Fragen des Finanzmarktes war als zu rigide, zu langsam und zu ineffektiv beschrieben worden. Diese Kritik erfolgte vor dem Hintergrund einer verbreiteten „fast schon euphorischen Haltung gegenüber Wertpapiermärkten als Motor der Entwicklung europäischer Volkswirtschaften“ (Gottwald, S. 119). Der FSAP bestand aus verschiedenen Maßnahmen, die den Wertpapierhandel, das Bankwesen, die Versicherungen und andere finanzielle Leistungen unter den EU-Staaten harmonisieren sollen. Seine besondere Relevanz bezieht er daraus, dass er die eindeutige Dominanz der Mitgliedsstaaten mit ihren nationalen Aufsichtsbehörden bei der Gestaltung der Finanzmarktregulierung durch ausdifferenzierte europäische Strukturen zur politischen Finanz- und zur adminstriativen Marktaufsicht ablöste. „Die Basis für eine einheitliche europäische Regulierung ist gelegt.“ (Gottwald, S. 238.) Grundsätzlich bleiben die Regulierungsregime jedoch in nationaler Hand. Die neuen europäischen Einrichtungen wie das European Securities Committee (ESC) oder das Committee of European Securities Regulators (CESR) sorgen jedoch für einen Druck in Richtung Harmonisierung der Anforderungen. Jetzt sollte auch das am Beginn der Rezensionen stehende Zitat verständlich sein: „Die Durchsetzung der auf europäischer Ebene vereinbarten Regelungen liegt ohnehin weiter in ihren Händen, wenngleich die Zusammenarbeit in ESC und CESR den Gruppendruck zu relativ einheitlichem Handeln erheblich gesteigert hat. Mit der Umsetzung des FSAP hat die EU erheblich politische Gestaltungskapazitäten bewiesen.“ (Gottwald, S. 221).

 

Das Buch von Gottwald behandelt die Entwicklung der Finanzmarktregulation in der EU nur bis etwa 2005. Für den Leser und die Leserin sei ergänzt, dass seit der Finanzkrise auf diese Entwicklung weiter aufgebaut wurde, wie schon Bieling andeutete. Im Angesicht der Finanzmarktkrise beauftragte die Europäische Kommission eine Expertengruppe rund um den früheren französischen Zentralbankchef Jacques de Larosière, neue Regulierungsmodelle zu entwickeln. Die Reformvorschläge sehen die Einführung eines Europäischen Ausschuss für systematische Risken sowie weitere Aufsichtsbehörden vor. Die Umsetzung dieser Maßnahmen kann zur Zeit verfolgt werden. S. W.

 

Horn, Gustav A.: Des Reichtums fette Beute. Wie die Ungleichheit unser Land ruiniert. Frankfurt/Main: Campus, 2011. 270 S. € 24,90 [D], 25,60 [A], sFr 37,90

 

ISBN 978-3-593-39347-6

 

Europa - quo vadis? Ausgewählte Problemfelder der europäischen Integrationspolitik. Hrsg. v. Gudrun Hentges … Wiesbaden: VS Verl. 2011. 277 S., € 34,95 [D], 36,- [A], sFr 59,40 ; ISBN 978-3-531-17381-8

 

Gottwald, Jörn-Carsten: Regulierung der Finanzmärkte der EU. Baden-Baden: Nomos, 2011. 262 S., € 49,- [D], 50,50 [A], sFr 84,80

 

ISBN 9783832955120