Mathias Binswanger

Der Wachstumszwang

Ausgabe: 2019 | 4
Der Wachstumszwang

Mathias Binswanger bespricht den „Wachstumszwang“ bzw. die Frage, „warum die Volkswirtschaft immer weiterwachsen muss, selbst wenn wir genug haben“. In Fortführung der Theorie seines Vaters Hans Christoph Binswanger, dem Mitbegründer der Ökologischen Ökonomie, macht der Autor deutlich, dass das Funktionieren des Kapitalismus nicht nur von der Produktion, sondern mehr noch vom Konsum abhängt. In der Sprache der Ökonomie: Es geht nicht nur um die Angebotsseite, sondern mehr noch um die Nachfrageseite. Diese sei entscheidend, wie bereits John Maynard Keynes herausgearbeitet hat. Nur wenn konsumiert wird, wird auch investiert und produziert. Bei sinkenden Konsumerwartungen fahren Unternehmen Investitionen und Produktion zurück, Zulieferunternehmen sind gezwungen, dies ebenso zu tun. Menschen werden arbeitslos, was die Konsumnachfrage weiter senkt. Eine Schrumpfungsspirale führt Volkswirtschaften in die Krise, so die These. Als Beispiel weist Binswanger auf die griechische Volkswirtschaft nach der Krise von 2008 hin.

Zwei weitere Gründe benennt Binswanger für den Wachstumszwang: Investitionen werden zu einem großen Teil aus Krediten getätigt, für die Banken Geld aus dem Nichts schöpfen. Denn würden diese ausschließlich aus Ersparnissen getätigt, würde das die Konsumnachfrage ebenfalls zurückfahren. Die Folge sei ein permanentes Anwachsen der Geldmenge sowie der Wirtschaftsleistung. Zudem gäbe es im Kapitalismus die Tendenz, dass kleinere, das heißt auch schrumpfende Unternehmen von größeren geschluckt werden, was alle Unternehmen anhalte, selbst zu wachsen. Der Wachstumszwang führe nun dazu, dass mittels Werbung immer neue Bedürfnisse geschaffen werden. Binswanger spricht von „Bedürfnisweckung und Zwangskonsum“ (S. 181).

Möglich sei, den Wachstumszwang zu begrenzen, etwa durch Abkehr von den renditeabhängigen Aktiengesellschaften hin zu Unternehmen nach Genossenschafts- und Stiftungsrecht; abzuschaffen sei er nicht. Da in der Produktion jedoch immer weniger Arbeitskräfte gebraucht werden, würden diese in den tertiären Sektor abwandern. Binswanger beleuchtet in diesem Zusammenhang auch die „Rolle der Bürokratie als Arbeitsplatzbeschaffer“ (S. 158). Das bedingungslose Grundeinkommen, das von manchen, finanziert aus der digitalen Dividende, vorgeschlagen wird, scheitere, weil die höheren Kapitaleinkommen die wegfallenden Arbeitseinkommen nicht ersetzen würden, um die Konsumnachfrage aufrechtzuerhalten.

Binswanger beschreibt den Wachstumszwang auf Basis einer einfachen Modellwirtschaft. Er sieht zwar Möglichkeiten, etwa durch Ressourcensteuern Anreize für eine Ökologisierung des Wirtschaftens zu setzen, was aber den Wachstumszwang nicht aufhebe. Dies sei einer der Gründe für die sogenannten Rebound-Effekte. Ressourceneinsparungen in einem Bereich führen zu Mehrkonsum in anderen Bereichen.

Resümee: Die Weltwirtschaft wird weiterwachsen – derzeit liegen die Wachstumsraten bei etwa drei Prozent; ob bereits sehr reiche Volkswirtschaften in Zukunft nicht doch den Weg in geordnetes Nicht-Weiter-Wachsen bzw. auch Schrumpfen übergehen werden, ist noch nicht ausgemacht. Dann würden auch die Wirtschaftswissenschaften neue Wege beschreiten, wie dies die VertreterInnen einer Postwachstumsökonomie bereits andenken. Stärkere Arbeitszeitverkürzungen oder ein bedingungsloses Grundeinkommen würden dann nicht mehr ausgeschlossen sein.