Ein Gedankenexperiment: Was wäre, wenn wir mit dem Shoppen aufhören würden? Von heute auf morgen? Was passiert dann? Das ist die Ausgangsfrage des Buches des kanadischen Journalisten, Herausgebers und Autors J. B. MacKinnon. Die Antwort, die er gefunden hat, lautet: erstaunlich wenig. So wie in der Coronakrise die Wirtschaft nicht zusammengebrochen ist, würde auch ein dauerhaftes Ende des „Überkonsums“ die Wirtschaft nicht zu Boden ringen, so meint MacKinnon. Gestützt auf seine Reportagereisen in unterschiedlichste Länder entwirft der Autor ein vielschichtiges und differenziertes Bild des Konsums und der Lust an ihm. Als Journalist mit Spezialisierung auf Umweltthemen ist MacKinnon dabei ein präziser Beobachter, der auch die Absurditäten des Konsumrausches in den Blick nimmt. Ein Beispiel: „Früher halfen uns Hunde und Katzen bei der Beseitigung von Essensresten. Heute haben sie ihre eigenen Konsumgüter, von Betten über Spielzeuge und Kleidung bis zu ‚Haustiertechnologie‘ […]. Unsere Haustiere produzieren ihren eigenen Müll.“ (S. 26f.)
Wenn die Lust am Konsum brüchig wird
Mehr als die Auswüchse des „Überkonsums“ interessiert MacKinnon, was passiert, wenn die Lust am Konsum brüchig wird, wenn Menschen sich anders orientieren, wenn sie beschließen, weniger zu verbrauchen, weniger zu reisen. Er fragt: Welche Folgen hätte ein geringerer Konsum für die Wirtschaft, die Arbeit, unser Leben und unser Denken? Wie passen sich Menschen an, wenn der Überkonsum zu Ende geht?
Nur, was ist und wo beginnt dieser Überkonsum? Und was genau meint Shoppen? Einkaufen müssen wir ja wohl in einer arbeitsteiligen Gesellschaft, in der Subsistenzwirtschaft die Ausnahme bleibt. Auf diese Frage bietet das Buch keine Antwort. Mit einer gewissen Berechtigung, denn diese Fragen führen in ein Dilemma: „Wir müssen aufhören, einkaufen zu gehen, aber wir können nicht aufhören, einkaufen zu gehen: Im Dilemma des Konsumenten geht es letzten Endes um die Frage, ob das menschliche Leben auf der Erde Bestand haben kann.“ (S. 32) Weil wirksamer Klimaschutz ohne einen Wandel des Konsums nicht zu haben ist. Aber dieses Dilemma kann letztlich nur jeder Konsument für sich auflösen. Eine Antwort auf die Ausgangsfrage, was passiert, wenn wir mit dem Shoppen aufhören würden, gibt MacKinnon indes schon: Die globalen Konsumausgaben brechen schlagartig um 25 Prozent ein – und sinken damit auf das Niveau von vor einem Jahrzehnt (S. 34).
Und diese Anpassung des Konsums ist der eigentlich interessante Gedanke des Buches: Was wäre, wenn wir (in den reichen Ländern) unseren Konsum und unser Reiseverhalten einfach zurückdrehen würden? Zurückfahren auf das Maß von vor ein paar Jahren? Wir würden dies kaum merken. Aber es wäre ein Wandel angestoßen. Im Laufe der Zeit verändere sich dann „die Art und Weise, wie wir Dinge erzeugen. Wir organisieren unser Leben rund um neue Prioritäten und entwickeln neue Geschäftsmodelle für eine globale Kultur, welche die Lust auf den Konsum verloren hat“, schreibt MacKinnon (S. 33). Seine Botschaft ist optimistisch: „Indem wir eine auf endlose Expansion ausgerichtete Wirtschaft bremsen, kehren wir lediglich zum langfristigen Trend eines graduellen Wachstums zurück, der über weite Strecken der Menschheitsgeschichte zu beobachten war: Mit Einfallsreichtum können wir uns anpassen.“ (S. 440)
Interessant ist dieser Gedanke deshalb, weil er die Einschränkung des Konsums herausholt aus der Schmuddelecke des Verzichtsdenkens. Für die Umwelt- und Klimabewegung bedeutet das, eine Kröte zu schlucken. Es erfordert, zu differenzieren zwischen einem konsequenten Verzicht, wie ihn viele Aktivist:innen vorleben, und dem, was eine trägere Mehrheit in der Gesellschaft mitzugehen bereit ist. Genau das meint der sperrige soziologische Begriff der Anschlussfähigkeit. Konkret: Inwieweit ist der Weg, auf dem konsequente Vorreiter vorangehen, anschlussfähig für den Rest der Gesellschaft? Kann die Mehrheit folgen und mithalten?
Das Ende der Maßlosigkeit
Anschlussfähigkeit, dieses Thema kennzeichnet auch die Erzählhaltung des Buches. MacKinnon schreibt ja nicht als überzeugter Konsumverweigerer, der längst seine Haltung gefunden hat. Als Umweltjournalist kennt er natürlich die Zusammenhänge, er weiß, was auf dem Spiel steht. Aber erst seine Recherche ließ ihn genauer hinschauen und brachte ihn dazu, seine Haltung auf den Prüfstand zu stellen. Er begann bewusster einzukaufen, achtete auf Qualität und Langlebigkeit, begann auch, gebrauchte Sachen zu ändern oder zu reparieren. Und das führte ihn zu einer größeren Zufriedenheit mit seinen Entscheidungen. „Als Konsument konzentriere ich mich jetzt darauf, von allem weniger und in besserer Qualität zu kaufen“, schreibt er. Und fügt hinzu: „Es gibt gute Gründe dafür, dass Sie vielleicht ebenfalls aufhören sollten einzukaufen.“ (S. 430f.) Klarer wird damit auch der Begriff des Überkonsums – es geht um das Ende der Maßlosigkeit.