Daniel Schreiber

Allein

Ausgabe: 2022 | 2
Allein

In einer Zeit, in der so viele Menschen wie noch nie zuvor allein leben, stellt Daniel Schreiber die Frage danach, ob es möglich ist, allein glücklich zu sein. Er ergründet dabei den Balanceakt zwischen Freiheit und Nähe, ohne unausgesprochen zu lassen, wie hart das Leben allein sein kann, oder die Schwierigkeit über Einsamkeit zu sprechen zu verharmlosen. Weil es ein Zu- stand ist, der immer noch mit Scham behaftet ist und dann auch am liebsten, so sein Eindruck, niemand davon hören will. Umso nachdrücklicher schreibt er von den Leerstellen und Sehnsüchten des Alleinseins und auch von jener Einsamkeit, die entsteht, wenn man sich außerhalb gesellschaftlicher Systeme und Kategorien bewegt. In einer Zeit, die von Vielen als unsicher erlebt wird und in der die „großen Erzählungen“ an Gültigkeit verlieren, wird dennoch Unglücklich-Sein als individuelles Scheitern gesehen, obwohl es vielleicht eine adäquate Reaktion auf die Welt und Gesellschaft sein kann. Ebenso wird das Fehlen einer Liebesbeziehung als Scheitern ausgelegt, das Mitleid in den Gesichtern der anderen zeichnet es nach. Dabei gibt es viele Gründe, um allein zu leben, so Schreiber, vielleicht auch einfach den, dass man es möchte. 

Oft sind es Freundschaften, die durchs Leben tragen

Romantische Liebe drängt sich – vor allem medial – in den Vordergrund, dabei sind es oft Freundschaften, die durchs Leben tragen. Schreiber verzichtet aber auf eine Idealisierung dieser und wendet sich ab von der Annahme, dass Freundschaft auf Ähnlichkeit beruhe, indem er auf das subversive Potential der Freundschaft zwischen Unterschiedlichen verweist. Zudem hinterfragt er die Vorstellung von Freundschaft als Trostpreis oder Ersatzglück ebenso konsequent wie die „überzuckerten“ Vorstellungen davon, was Freundschaft alles leisten könne und müsse. Schreiber zeichnet nach, wie Freundschaften nicht fähig sind, die Sehnsucht nach maximaler Nähe und Verbundenheit einzulösen und wie diese häufig dem Konzept der Kleinfamilie zum Opfer fallen. Er habe insbesondere in der Pandemie eine nostalgische Hinwendung zu traditionellen Modellen von Familie und Freundschaft festgestellt, sodass jene, die sich außerhalb dieser Modelle bewegen, besonders von der Isolation betroffen seien: „Bezeichnenderweise schlägt keiner der wiederkehrenden Propheten des sozialen Niedergangs vor, den Kampf gegen Einsamkeit mit dem Kampf gegen Rassismus, Misogynie, Antisemitismus, Homo-, Trans- und Islamophobie zu beginnen, gegen die gesellschaftliche Stigmatisierung von Menschen, die in Armut leben, gegen all die strukturellen Phänomene der Ausgrenzung, die jeden Tag und in großem Maßstab soziale Isolation produzieren. Die Antwort der mit großer Geste Warnenden liegt fast immer in der Beschwörung der Magie der Kleinfamilie.“ (S.62) 

Über das Konstrukt eines „guten Lebens“

Wie nebenbei räumt er mit dem kollektiven Konstrukt des „guten Lebens“ und dem Wohlstandsphantasma auf, dass man durch Kraftanstrengung und Arbeit alles erlangen kann, was man sich wünscht – Versprechen, die sich für Viele nicht einlösen und als individuelles Scheitern gesehen werden. Schreiber widmet sich in einer Klarheit und Schonungslosigkeit der Thematik, die er auch auf sich selbst anwendet, indem er in einer ehrlichen Selbstergründung seine eigenen Erfahrungen bis hin zu Momenten des Rückzugs und der Sprachlosigkeit offenlegt. Besonders gelungen ist ihm dabei das Nebeneinander von individuellen Erlebnissen und soziologischen, literarischen, philosophischen Verweisen – eine Vorgehensweise, die an Annie Ernaux denken lässt, von der auch ein Zitat vorangestellt ist. Solcherart zeigt er nicht nur die individuellen Schwierigkeiten und strukturellen Problematiken im Zusammenhang mit Einsamkeit auf, sondern ergründet auch Möglichkeiten des Umgangs mit der Ausgesetztheit und Unsicherheit. 

Ihm ist dabei ein zeitdiagnostisches Buch gelungen, das einen Nerv trifft. Das, nicht zuletzt aufgrund der veränderten Lebensform durch die Pandemie, Fragen aufwirft, die sich viele stellen. Und doch ist es glücklicherweise kein Corona-Buch geworden, sondern viel mehr ein Buch über einen Zustand, der jede:n betrifft: Das Alleinsein.