Der Schlüssel für die Lebensqualität aller Menschen?

Ausgabe: 1995 | 1

Gerard Piel, Wissenschaftsjournalist und langjähriger Herausgeber der Zeitschrift "Scientific American", geht davon aus, daß die Grenzen des Wachstums beschrieben, die Umweltprobleme erkannt und deren Folgen abgesteckt sind. Damit auch den Menschen im Süden ein Leben ohne Hunger und Krankheit ermöglicht wird, bedarf es seiner Ansicht nach nur einer "kleinen Richtungsänderung": die wirtschaftliche Entwicklung der Dritten Welt ist der Schlüssel für die Lebensqualität aller Menschen. Der Autor meint, daß die Industrialisierung das Bevölkerungswachstum zum Stillstand bringen und die Beseitigung der Armut den Ressourcenraubbau beenden werde.

In der Industrialisierung sieht er auch die grundlegende Maßnahme für den Schutz der Umwelt. Spätestens hier regen sich Zweifel an der Tragfähigkeit dieses "Rezepts" der Zukunftssicherung. Aber lassen wir den Autor weiter zu Wort kommen. Durch schnellen Technologie-Transfer im Rahmen massiver Wirtschaftshilfe glaubt er, daß die Weltbevölkerung bei zehn Milliarden stabilisiert werden könne. Geld und Kapazität wären nach dem Ende des Wettrüstens vorhanden. Im Sinne einer “neuen internationalen Wirtschaftsordnung" sollten die Industriestaaten das 1974 gegebene Versprechen einlösen, 0,7% ihres BSP als Entwicklungshilfe einzusetzen und gleichzeitig ihre Märkte den Exportgütern der unterindustrialisierten Welt öffnen. Allerdings befürchtet Piel, daß die Verlangsamung der Bevölkerungszunahme im Süden wieder enden könnte, wenn die Weltwirtschaft weiter stagniert.

Ausgabenkürzungen gibt es bereits im Gesundheits- (in Afrika z. T. von 50%) und Bildungsbereich (Argentinien 65%, Brasilien 42%). In der gegenwärtigen Situation wäre eine Erhöhung der Entwicklungshilfe seiner Ansicht nach der schnellste Weg, im Norden die Industrie zu beschäftigen und die Wirtschaft in Schwung zu halten. Weder ist der Schluß zulässig, daß Industrialisierung das Bevölkerungswachstum beendet, noch gibt es den geringsten Hinweis darauf, daß sich die Weltwirtschaft in ihren Grundsätzen rasch und nachhaltig ändert. Auch eine Rücksicht auf die Umwelt bei der Industriealisierung Chinas wird es nicht geben. Was bleibt ist die fundierte Gegenwartsanalyse, die bereits vielfach vorliegt.


A. A.


Piel, Gerard: Erde im Gleichgewicht. Wirtschaft und Ethik für eine Welt. Stuttgart: Klett-Cotta, 1994. 455 S., DM / sFr 58,-/ö S 452,-