Der Kampf um globale Gerechtigkeit

Online Special
Der Kampf um globale Gerechtigkeit

Angesichts von Klimakrise, Ressourcenabbau, Kriegen und einer sich vertiefenden Spaltung zwischen Arm und Reich verlangen immer mehr Menschen einen grundlegenden Kurswechsel der Politik. Mit dem unabhängigen Berliner Internet-Sender Kontext TV begleiteten die Journalisten David Goeßmann und Fabian Scheidler seit 2009 den „Kampf um globale Gerechtigkeit“. Sie sprachen mit Wissenschaftlerinnen, Journalisten und Aktivistinnen aus aller Welt über die Ursachen der heutigen Krisen und über Alternativen. 27 Interviews der beiden mit Stimmen aus 14 Ländern sind als Buch erschienen. Gegliedert in die Abschnitte „Klimakrise, Ressourcenabbau und der Preis des Wachstums“, „Soziale Spaltung, Demokratieverfall und die Krise des Kapitalismus“, „Forcierte Ausbeutung, Kriege und Widerstand“ sowie „Ausblicke“ werden Analysen und Vorschläge aus unterschiedlicher  Perspektive gegeben.

Zu den Interviewten zählen namhafte Wissenschaftler und Autorinnen wie Stefan Rahmstorf („Der unterschätzte Klimawandel“), George Monbiot („Der Kollaps der Natur und die drohende Nahrungsmittelkrise“), Vandana Shiva („Der Preis des Wachstums“), Noam Chomsky („Wie die Kürzungspolitik der EU die Zukunft einer ganzen Generation zerstört“), Yanis Varoufakis („Demokratie oder Kollaps der EU“), Srećko Horvat („Der Der Zerfall Jugoslawiens und die Krise der EU“), Immanuel Wallerstein („Die globale Systemkrise und der Kampf um eine postkapitalistische Welt“) oder Ulrike Herrmann („Wie der Selbstbetrug der Mittelschicht Krisen beschleunigt“). Zu Wort kommen auch (bei uns) weniger bekannte Persönlichkeiten wie Wangui Mbatia, Anwältin und Gründerin des „People‘s Parliament“ („Die Plünderung des afrikanischen Kontinents“ mit einer Kritik an den EU-Afrika-Partnerschaftsabkommen), Yayi Bayam Diouf, Präsidentin des Verbandes „Frauen gegen klandestine Emigration“ (sie schildert u. a., wie die von den großen internationalen Fangflotten leergefischten Meere an der westafrikanischen Küste junge Fischer in die Emigration treibt und wie ihr Sohn beim Versuch nach Europa zu gelangen, im Meer ertrunken ist) oder Aminata Traoré, Koordinatorin des Forums für ein anderes Mali („Der Fall Mali – Wie 30 Jahre Neoliberalismus den Boden für den Krieg bereiteten“).

Ausblicke für die Zukunft

Im Schlusskapitel geht es um „Ausblicke“. Der ehemalige Energieminister und Präsident der verfassungsgebenden Versammlung in Ecuador, Alberto Costa, berichtet über die von ihm begründete und mittlerweile international bekannte Bewegung des „Buen vivir“, ein Ansatz, der Wirtschaften im Einklang mit der Natur vorschlägt. Acosta problematisiert den „Ressourcenfluch“ vieler Länder des Südens, der sie arm halte. Sein Plädoyer: „Wir müssen uns auf den Weg jenseits des Öls machen und jenseits des Ressourcenabbaus.“ (S. 210) Der US-Ökonom und Publizist Martin Albert erläutert sein Konzept einer „Partizipativen Ökonomie“, die nicht nur den Privatbesitz von Produktionsmitteln und Ressourcen „in den Händen von zwei Prozent der Bevölkerung“ überwinden, sondern auch „das Monopol auf eigenverantwortliche, machtvolle Arbeit der 20-Prozent-Koordiniererklasse“ auflösen will (S. 217f.). Albert plädiert für „ausbalancierte Arbeitskomplexe“, in denen alle einem Mix unterschiedlicher Tätigkeiten nachgehen. Als Beispiel nennt er eine argentinische Glasmanufaktur, die von ihren Besitzern verlassen und von der Belegschaft übernommen wurde. Silvia Federici, emeritierte Professorin für Politische Philosophie an der Hofstra University in New York, schließt hier an, wenn sie für gemeinsam gestaltete gesellschaftliche Räume zwischen Markt und Staat eintritt. Als Beispiel dienen ihr etwa große Gemeinschaftsgärten in Detroit und New York. Solche Initiativen könnten, wenn sie sich vernetzen, zu „Gemeinschaften des Widerstandes“ und zu „Keimformen einer anderen Gesellschaft“ (S. 233) werden. Der Band schließt mit einem Interview mit Alyn Ware, Koordinator des Parlamentarischen Netzwerkes für Nukleare Abrüstung und Nichtverbreitung, der sich für den 2017 in der UN-Vollversammlung mit 122 Stimmen angenommen „Atomwaffenverbotsvertrag“ engagiert. Aktueller Hinweis: alle Atomwaffen besitzenden Staaten, aber auch Deutschland weigern sich bisher, den Vertrag zu ratifizieren.

Die vorliegenden Interviews geben, auch wenn sie allein wegen der begrenzten Länge Dinge nur anreißen können, einen eindrucksvollen Einblick in die Vielfalt von Alternativansätzen aus aller Welt. Tiefergehende Analysen, wie eine Transformation der „Megamaschine Kapitalismus“ – so ein von Fabian Scheidler geprägter Begriff – im Detail gelingen könnte, bleiben weiteren Publikationen vorbehalten.