Das Verhältnis von Natur und Gesellschaft im ökologischen Diskurs

Ausgabe: 1988 | 2

Ausgehend von einem Blick auf die wechselvolle Geschichte des Ökologiebegriffs, der die Natur- und Umweltschutzbewegung einschließt, beschreibt die an der Universität Bremen lehrende Autorin jene Voraussetzungen, die der Ökologie in der jüngsten gesellschaftspolitischen Diskussion die Rolle einer Leitwissenschaft zuweisen. Trotz der Vielzahl teils unvereinbar neben- und gegeneinander stehenden Entwürfe und Modelle findet man Gemeinsamkeiten hinsichtlich "einer fundamentalen Fortschrittskritik, der Thematisierung der Grenzen des Wachstums und des geforderten Vorrangs der Ökologie vor der Ökonomie".

Die folgende Auseinandersetzung mit den Gesellschaftskonzepten von Gruhl, Habich, Bookchin, Amery, Bahro u. a., die bei aller Differenz "die Natur" als Kronzeugin ihrer Plausibilltät oder gar Notwendigkeit benennen, führt zu der überzeugenden These, daß in der ökologischen Diskussion ein zweifach verfänglicher Naturalismus vorherrscht. Die Forderung, daß sich die Gesellschaft den Gesetzmäßigkeiten der Natur anzupassen habe, leugnet das Recht und die Fähigkeit des Menschen auf Freiheit, beraubt ihn also seiner Geschichte; und zweitens wird ein "wahres Bild der Natur" stilisiert und absolut gesetzt, womit es nicht mehr als Ergebnis eines historischen Prozesses zu erkennen ist.

Vor allem in der Analyse der Thesen von Gruhl, der die Zukunft als erbitterten Kampf hochgerüsteter Nationalstaaten um die versiegenden Rohstoffe sieht, und von Harich, der - sich ebenfalls auf "Naturgesetze" berufend - die Utopie eines Weltstaates entwirft, machen deutlich, daß "die differenzierenden Auffassungen über die ,richtige' ökologische Natur politisch vorstrukturiert sind".

Gegen die naturalistische Deutunq-ces Verhältnisses von Natur und Gesellschaft entwickelt die Autorin einen historischen Begriff von Natur. Dabei sind vor allem die Überlegungen von Serge Moscivici über die menschliche Geschichte der Natur und die Forderung Prigogines nach einem offenen Dialog mit der Natur von Bedeutung.


Das Buch leistet einen wichtigen und klärenden Beitrag zum Verständnis der aktuellen ökologischen Debatte. Die Berufung auf eine quasi ontologisch fixierte Natur ist schon deshalb fragwürdig, weil deren Komplexität und systemische Vielfalt (fast) jeden gesellschaftspolitischen Entwurf "naturalistisch" legitimieren läßt. Diese Einsicht stellt letztlich auch die Ökologie in ihrer Funktion als neue Leitwissenschaft in Frage.

Oechsle, Mechthild: Der ökologische Naturalismus. Zum Verhältnis von Natur und Gesellschaft im ökologischen Diskurs. Frankfurt/M. (u. a.): Campus Verlag, 1988. 180 S. (Campus Forschung, Bd. 562) DM 38,- / sFr 34,50 / Ös 296,40