In der BRD geht jedes sechste Kind unter Tabletteneinfluß zur Schule, die Hälfte verbringt die Schulstunden in Angst und nicht weniger als 47% der von Staats wegen verpflichteten sehen in der Schule "nichts Hilfreiches, Sinnvolles oder gar Erfreuliches". Woher rührt das Monopol staatlicher Bevormundung, die als Vermittlerin des Guten, Wahren und Schönen auftritt? Sind die Erfolge auch nur annähernd den hehren Zielen zu vergleichen? Und schließlich: Wie könnte eine Erziehung aussehen, die kreativen Mut, Friedfertigkeit, Selbstverantwortung und ökologisches Bewußtsein vermittelt, anstatt lineares Fortschrittsdenken, Egoismus und Konkurrenz zu fördern? Die Autoren dieses Bandes geben keine leicht verdaulichen Antworten, sind sich aber in der Auffassung einig, daß die Freiheit des Menschen auch die freie Wahl der (schulischen) Bildung ein- und den Alleinvertretungsanspruch "fürsorglicher Unterdrückung" durch den Staat daher ausschließt. Im ersten Teil des Bandes werden historische, soziologische sowie rechtlich-politische Hintergründe der Schulpflicht und der Schulreform beleuchtet. Im Weiteren findet man zwei (in ihrer Eindringlichkeit geradezu schmerzlich erhellende) "Fallstudien": den Briefwechsel von engagierten Eltern im "Kampf" mit bürokratischer Betriebsamkeit, die' sich weitgehend als Ignoranz manifestiert. Zuletzt setzt sich Bertrand Stern mit der Institution "Schule" auseinander und stellt dagegen die Konturen einer "konvivialen Kultur“ in der jung und alt in freiwilliger Partnerschaft und gegenseitiger Achtung von- und miteinander lernen. Aus einer radikalen Position heraus, die die militaristischen Strukturen einer "verschulten Gesellschaft" (1IIich) erkennen läßt, entwirft Stern kein weiteres alternativ-pädagogisches Patentrezept: Die Selbstbefreiung aus tabuisierten Verhaltensmustern und Zwängen bedeutet, den Mut zum Widerspruch aufzubringen, auch wenn sich dieser (vorerst) nur in einem bestimmten "nein danke" artikuliert. Wem es um eine offene, demokratische Gesellschaft tatsächlich ernst ist, sollte an den Thesen und Themen dieses Buches nicht vorbeisehen. Ein Beispiel sachlich-engagierter Betroffenheit, die ansteckt, und der gerade deshalb weite Verbreitung zu wünschen ist.
Die "Entfesselung der Kreativität. Das Menschenrecht auf Schulvermeidung. Mit Beiträgen von Bernhard Bartmann u. a.; hrsg. von Johannes Heimrath. Wolfratshausen: Drachen Verlag, 1988.257 S.