
Die Flut an Publikationen zu Chinas Politik, Gesellschaft und Wirtschaft reißt nicht ab. Die SZ-Korrespondentin Lea Sahay legt hier einen eher weiten als tiefen Rundumschlag vor. Der Buchtitel weist den Weg. Konträr zu Journalistenkollegen wie etwa Frank Sieren ist China nicht die „Zukunft“ (Sieren 2018), sondern am Ende. Unlöslich verbunden wird dieses Ende mit dem ebenfalls im Titel genannten Namen des Präsidenten und Parteivorsitzenden Xi Jinping. Dessen „Chinesischer Traum“ (Zhōngguó Mèng), also das Wiederaufleben des chinesischen Volkes zu alter Stärke ist der Autorin nach, wenn nicht gescheitert, dann doch zumindest fehlgeleitet (S. 270: „Die Tragik von Xi Jinpings Chinesischem Traum ist, dass er den Menschen vorschreiben will, wie ihre Träume auszusehen haben“).
Manifest wird dieses Scheitern in mannigfaltigen Facetten im Leben der Chines:innen im neuen China. Das Adjektiv „neu“ will hier doppelt gelesen werden. Zunächst ist der Begriff „Neues China“ (Xīn Zhōngguó) ubiquitär benutzt. Zunächst als Signal der Abgrenzung während der republikanischen Zeit, dann vermehrt von den Kommunisten, erneut im Gestus der Distinktion und mit Verweis auf Fortschritt und Modernisierung. Auf einer zweiten Ebene lässt sich „neu“ hier aber auch im engeren Sinne als eine von Xi Jinping eingeführte Veränderung sehen. Dementsprechend neu sind im Vergleich zu den Vorgängern Deng Xiaoping, Jiang Zemin und Hu Jintao engagierte Zentralisierungsbewegungen hin zur Partei, damit einhergehend eingehegte Handlungsfreiheiten marktwirtschaftliche agierender Unternehmen, größere Indoktrinierung an Schulen und Universitäten, sowie ein verstärkt wahrgenommenes Gefühl der Überwachung und Kontrolle.
Vor eben diesem Hintergrund sieht Sahay wenig Gutes und sehr viel Schlechtes in der gegenwärtigen Volksrepublik China. Ob Arbeitsmarkt, Pandemiebekämpfung, Gesundheitswesen oder Schulsystem, die SZ-Korrespondentin lässt kaum ein gutes Haar an den Zuständen. Dabei ist das Buch eine kurzweilige Lektüre. Sahay schreibt schnell und hält sich kaum mit Fußnoten oder Verweisen auf. Wer den gegenwärtigen Chinadiskurs deutscher Leitmedien verfolgt, hat den Großteil der Beobachtungen so schon einmal lesen dürfen. Hier bekommt man die gängigen Klassiker (Was ist nochmal ein Hukou? Warum ist Xi Jinpings Amtszeit nun unbegrenzt? Und warum ist das so wichtig?) noch einmal in gebündelter Form und gut lesbar vor Augen geführt All diese Phänomene und Veränderungen werden immer wieder vor dem Hintergrund ihrer historischen Genese kontextualisiert, dazu kommen immer wieder persönliche Erfahrungen der Autorin, die besonders während der längeren Passagen zu der pandemiebedingt dramatisch verlaufenden Krankheit ihres Sohnes hochspannend geschildert werden.
Das ideale Buch für einen ersten Eindruck aus dem derzeitigen China
Sahays Buch ist all jenen wärmstens zu empfehlen, die als Neulinge einen ersten Eindruck aus dem derzeitigen China gewinnen wollen. Wie eine solche Geschichte frischer, engagierter und sicherlich ausgewogener erzählt werden kann, zeigte Zak Dychtwald in seinem 2020 auf Deutsch erschienene Buch „Young China“. Als Doppellektüre also sicher ein Gewinn.