Das Ende der Welt, wie wir sie kannten

Ausgabe: 2009 | 4

Stehen wir hinsichtlich der Klimaerwärmung tatsächlich vor einem dramatischen Wandel oder haben wir noch Zeit für Gegenmaßnahmen bis 2100? Ob der Tatsache, dass die Rettung von Banken und Autoindustrien für „systemrelevant“ erklärt wurde, die Abwendung der Klimakrise aber nicht, könnte durchaus dieser Eindruck entstehen. Oder ist das alarmistische Katastrophengerede ohnehin bloße Panikmache? Die inzwischen vielfach publizierten Fakten zeigen etwas anderes. Die Abbildung des Vergleichs der Kyoto-Ziele von Ist und Soll im vorliegenden Band (vgl. S. 163) macht schnell deutlich, in welchem Schlamassel wir heute bereits stecken. Claus Leggewie (Politikwissenschaftler und Publizist) und Harald Welzer (Sozialpsychologe) sind den aktuellen Fragen nachgegangen und versuchen zu klären, inwieweit die Klimaproblematik die Demokratie in Europa und der Welt bedroht. In Sachen Klimawandel, so stellen sie fest, bleiben die gängigen Bewältigungsstrategien „auf kurzatmige und illusionäre Reparaturziele fixiert“ (S. 11). Um die Krise zu meistern, bräuchten wir daher nicht weniger als die Erneuerung der Demokratie von unten und eine neue Art und Form des Wirtschaftens, sind die beiden überzeugt. Wie aber können nun Demokratien auf den Klimawandel reagieren?

 

 

 

Demokratie in der Krise?

 

In unseren vermeintlich gefestigten Demokratie gibt es einen schleichenden Wandel hin zur „Postdemokratie“. Die Autoren sprechen gar von einer globalen Rezession der Demokratie (vgl. S. 150). Ohne die hier angeführten Bedrohungen im Einzelnen aufzuzählen, sei auf das Globalisierungs- und das Zeitdilemma (kurze Legislaturperioden) hingewiesen. Zudem bleibe die Volksherrschaft als Mediendemokratie eingespannt „in mediale, vor allem visuelle Übersetzungen“ (vgl. S. 145).

 

Das Image der „besten aller Staatsformen“ ist denkbar schlecht. Demokratie finde zwar weltweit Zustimmung, die Praxis demokratischer Politik wird aber zunehmend mit Skepsis betrachtet. Laut einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung ist in Deutschland (s. a. vergleichbare Studien für Österreich) etwa jede/r Dritte der Auffassung, die Demokratie funktioniere schlecht. Diese Einschätzung kommt aber längst nicht mehr nur vom Rand der Gesellschaft. Die Politikverdrossenheit ist heute in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Und so stellt sich die Frage, ob die Demokratie in der Lage ist, der Klimakrise angemessen zu begegnen. Der New-York-Times-Kolumnist Thomas Friedman wünscht sich in seinem neuen Buch („Was zu tun ist“, 2009) bezeichnender Weise, Amerika möge für einen Tag China sein, um den grünen Umbau der Gesellschaft anordnen zu können, am nächsten Tag könne man ja wieder zur Demokratie zurückkehren. Laut einer Umfrage der EU ist aber eine Mehrheit von 72% der BürgerInnen der Meinung, dass trotz Wirtschaftskrise an den Klimaschutzzielen festgehalten werden sollte.

 

 

 

Chance Internet

 

In der gegenwärtigen Metakrise sehen Leggewie und Welzer die Modernisierung der demokratischen Institutionen der Bürgergesellschaft als unabdingbar an: Der Ruf nach „Mehr Demokratie“ bedeute vor allem, innovative Formen direkter Beteiligung zu stärken. Erfolgreiche Klimapolitik erfordert „eine neue Kultur der Teilhabe“, meinen die Autoren, was natürlich eine aktive Bürgerbeteiligung voraussetzt. Die Rede ist vom „strategischen Konsumenten“, der durch Empowerment (Selbstermächtigung) und Resilienz (Widerstandsfähigkeit) eine „Kultur der Achtsamkeit“ schafft, in der die Prüfung und Überarbeitung bestehender Erwartungen und erhöhte Aufmerksamkeit für mögliche Fehler als Dimensionen permanenten Lernens angesehen und kultiviert werden. Leggewie/Welzer sehen daher Umwelt- und Klimaschutz als besten Nährboden für eine Renaissance des Politischen. Große Erwartungen werden v. a. in Online-Kampagnen (u. a. „utopia.de“ oder „compact.de“) gesetzt. Internet-Plattformen werden als Beteiligungsformen favorisiert, weil sie leichter, unmittelbarer und schneller als „klassische“ Formen subjektiv wahrnehmbare Wirksamkeit erzeugen können (vgl. S. 217). Gleichzeitig warnen die beiden jedoch vor allzu großer Euphorie, denn das Internet habe das Versprechen einer Wiederbelebung der Demokratie nie einlösen und der „gefühlten Partizipation“ der Fernsehdemokratie nicht viel hinzufügen können (vgl. S. 219). Auf konkrete Ziele fokussiert, würden Kampagnen, die auf neue Kommunikationstechnologie setzen (z. B. „die-klima-allianz“ und das „Klima-Bündnis“) aber durchaus Erfolge aufweisen, indem sie vernetzen und mobilisieren.

 

 

 

Modernisierung der Demokratie

 

Auf dem Weg zu einer verantwortungsvollen und nachhaltigen Gesellschaft wünschen sich die Autoren eine Renaissance des Gemeinwesens im Sinne einer politischen Assoziation (in Erinnerung an die Außerparlamentarische Opposition der 60er Jahre jetzt „APO 2.0“ genannt), die nicht auf die Entfaltung der Produktivkräfte hofft, die man 1968 vom Staat und 1989 vom Markt erwartete (vgl. S. 228), sondern sich die Frage stellt, wie die Welt in zehn oder 25 Jahren aussehen soll. Nur so könne eine „Wir-Gruppe“ entstehen, die Identität fördert nach dem Motto: WIR sind nicht so blöd, mit einem Geländewagen durch die Stadt zu fahren.

 

Insgesamt ist die Demokratie trotz einer Vertrauenskrise in der Lage, den erforderlichen Wandel zu schaffen, so die beiden Forscher. Gleichermaßen beherzt wie eindringlich formulierend, wird eine „neue Politik“ weniger von den etablierten Parteien erwartet als vom mündigen und engagierten Bürger erhofft. Dem Souverän wird zugetraut, mit dem Umlernen in Richtung Klimaschutz nicht erst übermorgen, sondern jetzt zu beginnen – und entsprechend zu handeln. A. A.

 

Leggewie, Claus; Welzer, Harald: Das Ende der Welt, wie wir sie kannten. Klima, Zukunft und die Chancen der Demokratie. Frankfurt/M.: S. Fischer, 2009. 278 S., € 19,95 [D], 20,60 [A], sFr 34,90

 

ISBN 978-3-10-043311-4