Arbeit – Warum unser Glück von ihr abhängt und wie sie uns krank macht

Ausgabe: 2013 | 2

Arbeit macht krank, keine Arbeit auch. Die moderne Arbeitswelt steckt in einem Teufelskreis, dem nur schwer zu entrinnen ist.

 

Arbeit dient vor allem dem Erwerb. Aber das ist, neuropsychologisch betrachtet, eine tragische Verkürzung. Arbeit ist ein zentrales Element lebenswichtiger Vorgänge im Gehirn, wie der Freiburger Neurowissenschaftler und Psychiater Joachim Bauer in seinem neusten Buch „Arbeit – warum unser Glück von ihr abhängt und wie sie uns krank macht“ darlegt. Positive Resonanz führt im Hirn zur Ausschüttung von Dopamin, das psychische Energie freisetzt, von schmerzlindernden Wohlfühlbotenstoffen (endogene Optioide) und von Oxytocin, das mit Einfühlung und Vertrauen in Zusammenhang steht. Ohne regelmäßge Versorgung mit diesen Stoffen durch eine Aktivierung des Resonanzsystems werden wir krank und gehen letztlich zugrunde.

 

In diesem Resonanz- und Motivationssystem spielt Arbeit eine dreifache Rolle: Denn wir begegnen in ihr uns selber, der äußeren Welt und anderen Menschen, so Bauer. Das neurobiologische Motivationssystem springt an, das zeigen zahlreiche Studien, wenn wir Wertschätzung, Anerkennung, Sympathie oder gar Liebe erhalten. Dafür sind wir gern bereit, größere Anstrengungen zu unternehmen, auch in der Arbeit.

 

Materieller Lohn – wenn er denn gerecht ist – genügt als Wertschätzung allerdings nicht. Kollegialität am Arbeitsplatz, Unterstützung durch die Vorgesetzten, Mitbestimmungsmöglichkeiten und nicht zuletzt die Erfahrung von Sinn gehören ebenso dazu. In dieser Hinsicht haben sich die Verhältnisse in den letzten Jahrzehnten markant verschlechtert: Konkurrenz unter Kollegen nimmt zu, die Unterstützung ab. Arbeit wird immer mehr zerstückelt und rationalisiert, die Entfremdung wächst. „Die gesundheitlichen Folgen für die Beschäftigten sind, wie die Zahlen zeigen, katastrophal“, schreibt Bauer. Und: „Welchen Sinn hat es, dass Unternehmen ihre Maschinen und Anlagen sorgfältig warten, ihre Mitarbeiter aber wie Wegwerfartikel verschleißen?“ – erfreulich klare Worte eines Wissenschaftlers, der die Arbeitswelt im Auftrag der deutschen Bundesregierung jahrelang untersucht hat.

 

 

 

Stress der flachen Wachsamkeit

 

Neben dem Resonanz- und Motivationssystem spielt ein weiterer Faktor eine zentrale Rolle: der Stress. Das ist nicht überraschend. Aber auch hier bietet Bauer neue Einsichten. Zum einen gibt es gesunden Stress („Eustress“), die Herausforderung von schwierigen Aufgaben, die wir auch lösen können. In einem Wirtschaftssystem, „das nie genug hat“, nehmen die Aufgaben eine Dimension an, die uns dauerhaft überfordert („Distress“). Das ist die Realität vieler ArbeitnehmerInnen, die nicht mehr zur Ruhe kommen. Dafür ist unser Körper nicht gebaut.

 

Daneben kommt dem “Unruhe-Stresssystem“ (das „default mode network“) immer mehr Bedeutung zu. Es wurde entdeckt, als sich Forscher damit befassten, was das Gehirn tut, wenn es scheinbar nichts tut. Es schaltet um auf eine unspezifische Wachsamkeit eines Tiers in der Wildnis, das alle Sinne auf die Wahrnehmung möglicher Bedrohungen ausrichtet. Bei der Mehrheit der Arbeitsplätze ist heute nicht mehr die fokussierte Erledigung einer Arbeit gefragt, sondern eine «breit gestreute, aber flache Aufmerksamkeit», wie Bauer schreibt. Ein Aspekt davon ist das Multitasking, von dem 1999 nach Erhebungen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales 42 Prozent der ArbeitnehmerInnen betroffen waren, 2006 59 Prozent und heute vermutlich mehr als zwei Drittel. Wer ständig auf dem Sprung sein muss, kann keine Aufgabe konzentriert erledigen, was uns glücklich machen und der Gesundheit gut tun würde. Die dauerhafte Aktivierung des Reiz- und Gefahrensuchsystems ruiniert nicht nur Konzentration und Merkfähigkeit, sondern begünstigt auch eine Reihe von psychischen Erkrankungen.

 

Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch das, was Psychiater als passive Aggressivität bezeichnen: versteckter Ärger, unmerkliche Behinderung oder soziale Ausgrenzung. Darauf reagiert das Gehirn wie auf körperlichen Schmerz: zuerst mit Aggression und, wenn sie nichts «nützt» oder aus Angst nicht zugelassen wird, mit Depression – mittlerweile eine Volkskrankheit.

 

 

 

Wer sich nicht wehrt, ist mitverantwortlich

 

Joachim Bauer identifiziert als Ursache dieser bedrohlichen Entwicklung korrekterweise den Turbo-Kapitalismus. In einem auf Ausbeutung ausgerichteten System hat Wertschätzung auf allen Ebenen – denn das wäre nötig, um Arbeit wieder zu einer Glücksquelle werden zu lassen – wenig Chancen. Um dem Prinzip Menschlichkeit in der Wirtschaft wieder zum Durchbruch zu verhelfen, müssten Millionen von Managern Bauers Buch lesen und umsetzen – aber dazu dürften ihre Aufmerksamkeitsdefizite bereits zu groß sein. Doch auch wir alle sind gefordert, daran lässt Bauer keinen Zweifel: „Das Glückspotenzial der Arbeit zerstören aber nicht nur jene, die andere in unwürdige Arbeitsverhältnisse zwingen, sondern auch diejenigen, die sich ohne Gegenwehr mit einer solchen Situation arrangieren.“ C. P.

 

 

 

Bauer, Joachim : Arbeit – Warum unser Glück von ihr abhängt und wie sie uns krank macht. Blessing, 2013. 270 S., € 20,- [D], 20,60 [A], sFr 28,50

 

ISBN 978-3-89667-474-6