Axel Honneth

Anerkennung

Ausgabe: 2019 | 2
Anerkennung

Europa teilt eine gemeinsame Geschichte, Wirtschaft, Politik – und ist doch in sich vielfältig. Genau so verhält es sich mit den Ideen, welche die europäische Gesellschaft seit der Aufklärung prägen – sie einen den Kontinent, wie sie ihn auch differenzieren. Ein Beispiel für eine solche europäisch-nationale Ideengeschichte liefert der Sozialphilosoph Axel Honneth, Habermas-Schüler und Vordenker zum Begriff „Anerkennung“.

„Anerkennung“ ist ein zentrales Element unserer demokratischen Kultur; sie definiert unser „politisch-soziales Zusammenleben“ (S. 13). Honneth zeigt in seinem jüngsten Werk, dass Anerkennung jedoch kein Begriff ist, der in Europas Ideengeschichte gleich verstanden wurde – vielmehr ist sie ein Produkt kultureller Besonderheiten, die in bestimmten nationalen Kontexten existierten und sich durch die Geschichte fortschrieben. Der Autor hat die Entwicklung der „Anerkennung“ in Frankreich, Großbritannien und Deutschland untersucht und verglichen – jene Länder, deren (politische) Ideengeschichte Europa bis heute auf höchst unterschiedliche Weise prägen.

Anerkennung in Frankreich, Großbritannien und Deutschland

Die Rolle, welche Anerkennung in Frankreich spielt, unterscheidet sich in einem zentralen Punkt von Deutschland und Großbritannien: Sie wird als negative Erscheinung gedeutet, denn der nach Anerkennung strebende Mensch verleugnet sein Wesen, um diese zu erlangen. Im Grunde wird diese „amour propre“ mit Geltungsdrang gleichgesetzt. Die Wurzeln dieser Deutung gehen auf das 17. Jahrhundert zurück: Im Denken der Voraufklärung wird „alles Verhalten, welches den Anschein von Tugendhaftigkeit, persönlicher Größe oder moralischer Vortrefflichkeit hat, unter den Generalverdacht eines bloßen Vorgaukelns von nicht vorhandenen Eigenschaften gestellt“ (S. 29). Diese Sichtweise wird auch von Rousseau übernommen und ist im Kontext der Ränkespiele am französischen Hof zu sehen; Anerkennung wird hier als „Abhängigkeit des Einzelnen von der Wertung durch Andere“ gedeutet (S. 34). Zudem ist Anerkennung immer relational: Sie wird nur im Vergleich zu anderen relevant, d. h. Individuen befinden sich zueinander in Konkurrenz, was in letzter Konsequenz zur Verleugnung der „wahren Natur“ des Menschen führe. (vgl. S. 46) Tatsächlich hat sich diese Interpretation von Anerkennung durch Frankreichs Ideengeschichte bis ins 20. Jahrhundert fortgeschrieben: Bei Sartre bedeutet Anerkennung den Verlust der Freiheit, da in jenem Moment Individuen aus ihrem „Für-sich-Sein“ gerissen würden – und damit zwar Anerkennung, aber auch Verdinglichung erfahren würden: „Das Anerkennen ist für Sartre – ähnlich wie für Rousseau, nur dass dieser mehr Spielraum für Variationen bietet – primär ein kognitives Konstatieren von personalen Attributen und besitzt daher keinerlei moralische Qualitäten“ (S. 71).

Britische Philosophen über Anerkennung

Einen anderen Zugang zur Anerkennung entwickelten die britischen Philosophen des 18. und 19. Jahrhunderts, allen voran die Vertreter der schottischen Moralphilosophie, David Hume und Adam Smith sowie der englische Vordenker des Sozialliberalismus, John Stuart Mill. In einer Zeit des aufstrebenden Kapitalismus und einer damit einhergehenden Sorge, eine Gesellschaft in Egoismus und Profitgier abdriften zu sehen, wird „sympathy“ zu einem zentralen Begriff der britischen Ideengeschichte – als Ausgleich zur Idee, dass das Verfolgen eigener Interessen letztendlich auch der Gesellschaft diene. Für Hume etwa ist Anerkennung Grundlage für ein soziales Leben – Lob und Tadel entscheiden schließlich darüber, ob jemand Teil einer Gesellschaft sein kann – doch im Gegensatz zur französischen Sichtweise wird dieses Streben als „heilsam“ angesehen, da das Individuum „seine Absichten fortan zugunsten des allgemeinen Wohls“ ausrichtet (S. 97).

Adam Smith vertieft diese Interpretation von Anerkennung: Durch „sympathy“ seien wir in der Lage, Empfindungen anderer Personen nachzuempfinden. Damit einhergehend würde sich der Wunsch nicht nur nach emotionaler Gemeinsamkeit, sondern auch nach Billigung aus der Perspektive des Anderen destillieren: „Zwischenmenschliche Anerkennung heißt daher für Smith vorweg und ganz grundsätzlich erst einmal, jeden anderen Menschen als ein Wesen zu nehmen, mit dem man sich im Fühlen und Erleben verbunden wissen möchte“ (S. 114). Auch bei Mill strebt der Mensch nach sozialer Anerkennung – hier als Teil eines Freiheitskonzepts, welches Einschränkungen erlaubt, wenn andere Menschen oder eine Gruppe von individueller Freiheit negativ beeinträchtigt werden. Öffentliches Lob und öffentlicher Tadel sollen dabei sicherstellen, dass Konflikte vermieden werden: „Für Mill ist das soziale Band, das uns als ein Gemeinwesen zusammenhält, somit aus dem Stoff der wechselseitigen Anerkennung gewebt“ (S. 125).

Deutsche Idealisten deuten Begriff zu einem politischen Instrument um

Den dritten wirkmächtigen Ansatz zur Anerkennung findet Honneth bei den deutschen Idealisten, bürgerlichen Philosophen, die im 18. und 19. Jahrhundert von politischer Mitbestimmung oder Gleichheit auf Grund ihres Standes von Partizipation ausgeschlossen waren. In diesem Rahmen wurde Anerkennung zu einem Instrument politischer Emanzipation umgedeutet. Bei Kant geht es noch um „Achtung“ – ein Konzept, welches einen Bruch mit der Selbstliebe und in Folge mit egozentrischen Absichten erfordert. Zentral ist, dass man jedem Mitmenschen die gleiche Achtung zugestehen muss. Fichte geht einen Schritt weiter, indem er die Anerkennung als Grundlage menschlicher Kommunikation erkennt: Erst wenn ich dem gegenüberstehenden Subjekt in einem Akt der freiwilligen Freiheitsbeschränkung Raum gebe, ist Kommunikation möglich. Dazu braucht es wechselseitige Anerkennung. Es ist schließlich Hegel, der die Anerkennung explizit als Grundlage der Freiheit benennt, unter drei Umständen: Sie muss wechselseitig erfolgen, sie muss mit Selbstbeschränkung einhergehen und für das Gegenüber wahrnehmbar sein. Erst dann sei die Voraussetzung für Kommunikation unter Gleichen gegeben, die auch essenziell für individuelle Freiheit ist. (vgl. S. 171ff.) Folgerichtig ordnet Hegel ungleiche Beziehungen – „Knecht und Herr“ – als „gestörtes Verhältnis der wechselseitigen Anerkennung“ ein (S. 180). Der logisch nächste Schritt ist dann die Emanzipation.

Honneth merkt am Ende seiner kurzweiligen Ausführungen an, dass eine Synthese der drei Ansätze kaum möglich sei: „Unschwer ist an diesem Versuch einer idealtypisierenden Komprimierung der drei Anerkennungslehren zu erkennen, dass die in den Kulturen Frankreichs, Großbritanniens und Deutschlands jeweils entwickelten Vorstellungen über Sinn und Gehalt der zwischenmenschlichen Begegnung offenbar enorm weit voneinander entfernt sind“ (S. 190). Letztendlich greift Honneth auf Hegels Anerkennungstheorie als Grundlage für moderne Konzeptionen des Begriffs zurück: Nur wenn wir einander wechselseitig als gleichwertige Wesen anerkennen, können wir eine regulierte Koexistenz schaffen. Denn schlussendlich sind wir alle voneinander abhängig.