„Die Zeit, in der es den Anderen gab, ist vorbei.“ Dieser Satz steht am Beginn des Buches des heute in Berlin lehrenden Philosophen Byung-Chul Han. Hans Tenor ist, dass die Durchsetzung des Gleichen einem Terror gleicht. „Charakteristisch für die heutige Gesellschaft ist die Beseitigung jeder Negativität. Alles wird geglättet. Auch die Kommunikation wird geglättet zum Austausch von Gefälligkeiten.“ (S. 34)
Die Gewalt des Globalen fege alle Singularitäten hinweg, die sich dem allgemeinen Tausch nicht unterwerfen. Der Neoliberalismus erzeuge eine massive Ungerechtigkeit auf der globalen Ebene. Ausbeutung und Ausschließung seien konstitutiv für ihn. Gleichzeitig produziere er den Reflex in Form des nationalromantischen Lobes der Grenze und des islamischen Terrorismus.
Diesen Reflexen tritt Han entgegen: „Angesichts der Gewalt des Globalen gilt es, das Universelle vor der Vereinnahmung durch das Globale zu schützen.“ Ein Kernsatz: „Notwendig ist daher die Erfindung einer universellen Ordnung, die sich auch für das Singuläre öffnet“. ( S. 25) Ein wichtiges Beispiel ist für Han die Gastfreundschaft: Sie „ist der höchste Ausdruck der universellen Vernunft, die zu sich selbst gekommen ist. Die Vernunft übt keine homogenisierende Macht aus: Mit ihrer Freundlichkeit ist sie imstande, den Anderen in seiner Andersheit anzuerkennen und willkommen zu heißen. Freundlichkeit bedeutet Freiheit.“ (S. 28)
„Der Terror des Gleichen erfasst heute alle Lebensbereiche. Man fährt überall hin, ohne eine Erfahrung zu machen. Man nimmt Kenntnis von allem, ohne zu einer Erkenntnis zu gelangen. Man häuft Informationen und Daten an, ohne Wissen zu erlangen. Man giert nach Erlebnissen und Erregungen, in denen man aber sich immer gleich bleibt. Man akkumuliert Friends und Follower, ohne je einem Anderen zu begegnen.“ (S. 9) Kraftvoll und facettenreich bringt Han Beispiel um Beispiel vor, skizziert, wie „in der Hölle des Gleichen“ kein Begehren des Anderen mehr möglich wird. Han spricht über Selfies, Selbstentbößung im Netz, den Verlust der Fähigkeit, dem Anderen zuzuhören, die Notwendigkeit des Anderen für die Liebe.
Diese Abwehr des Gleichen ist für Han in keiner Weise ein Aufruf, eine „eigene Authentizität“ zu suchen. „Der Authentizitätszwang zwingt das Ich dazu, sich selbst zu produzieren.“ Heute wolle jeder anders sein als der Andere. Aber in diesem Anders-sein-Wollen setze sich das Gleiche fort. Hier habe man es mit einer Konformität höherer Potenz zu tun (S. 29f.). Dem setzt Han Konflikte entgegen. Diese seien nicht destruktiv. „Sie haben eine konstruktive Seite. Erst aus Konflikten entstehen stabile Beziehungen und Identitäten.“ (S. 35)
Hans Text zeichnet sich durch höchste Sensibilität gegenüber gesellschaftlichen Entwicklungen aus. Es muss sein Sensorium sein, das ihn zu einem der meist diskutierten Philosophen der Gegenwart macht. Dabei sagt er oft Nein zu dem, womit er konfrontiert wird. Ein Nein, das nicht immer leicht zu ertragen ist.
Han, Byung-Chul: Die Austreibung des Anderen. Gesellschaft, Wahrnehmung und Kommunikation heute. Frankfurt/M.: S. Fischer . 110 S., € 20,- [D], 20,60 [A] ; ISBN 978-3-10-397212-2