Toby Walsh

2062

Ausgabe: 2019 | 4
2062
2062

Der Weg zu selbst denkenden Maschinen ist nicht mehr weit. Bis Maschinen tatsächlich grundlegende Denkarbeiten des Menschen übernehmen können, wird es aber noch etwas dauern. Das war die zentrale These des Buches „It’s alive“, vorgelegt von dem australischen Informatiker Toby Walsh, Professor für KI an der University of New South Wales. In seinem neuen Buch tastet er sich nun an diesen Zeitpunkt ein Stückchen näher heran. „2062“ heißt es, und diese Zahl bezeichnet „das Jahr, in dem die künstliche Intelligenz uns ebenbürtig sein wird“, so der Untertitel. Das Jahr also, in dem die Maschinen, die wir bauen, so intelligent sein werden wie wir. „Das wäre ein Wendepunkt, an dem die Maschinenintelligenz plötzlich beginnen würde, exponentiell zu wachsen, weshalb sie die menschliche Intelligenz rasch um ein Vielfaches übersteigen würde“, schreibt Walsh (S. 51).

Das klingt nach technologischer Singularität, nach der vor allem von Ray Kurzweil, dem US-amerikanischen Autor, Erfinder, Zukunftsforscher und Director of Engineering bei Google, vertretenen Auffassung, der Punkt sei nicht mehr fern, ab dem sich selbst modifizierende Computer intelligenter werden als der Mensch und unsere Spezies überflügeln. Toby Walsh aber hat wie andere KI-Forscher beträchtliche Zweifel an der Unvermeidlichkeit, mit der diese Techno-These auftritt: Die Singularität erscheint als logische Gewissheit, wobei lediglich der Zeitpunkt unklar ist, an dem sie eintritt. Insofern ist es pikant, dass Walsh selbst mit einer Jahreszahl auf dem Cover antritt. In der Sache aber ist er klar: Zehn Gründe führt der Forscher an, die dagegensprechen, dass es zur Singularität kommen wird, und demontiert damit sehr fundiert die Behauptung ihrer Unvermeidlichkeit (vgl. S. 50ff.). Dennoch sei damit nicht bewiesen, dass die Singularität nicht eintreten könnte. „Sie ist eine Möglichkeit“, so Walsh (S. 69). Wie das Jahr 2062 auf dem Cover.

Steht die Zukunft fest?

Das ist der entscheidende Punkt: Hinter der Frage „Singularität, ja oder nein?“ stehen unterschiedliche Konzeptionen von Zukunft. Für Walsh ist die Zukunft offen, und offen heißt: gestaltbar. Für die VertreterInnen der Singularitätsthese hingegen ist dies Ergebnis einer zwangsläufigen technologischen Entwicklung. Bekannt geworden ist Ray Kurzweil ja (unter anderem) mit einer Arbeit über exponentielle Steigerungsraten in unterschiedlichen Technikfeldern. Daraus leitet er eine Art Gesetzmäßigkeit eines neuen, exponentiellen Wachstums ab und schwärmt von einer sich beschleunigenden technologischen Entwicklung. Seine Kurven gehen dann auch alle steil nach oben – und verschleiern mit ihrer Suggestivkraft, dass dahinter ein ziemlich geschlossenes und eindimensionales Zukunftsmodell steht: Die Zukunft ist exponentiell, aber nicht offen.

Gegen dieses von Kurzweil prominent vertretene Zukunftsmodell argumentiert Walsh mit bemerkenswerter Klarheit: „Es ist ein verbreiteter Irrglaube, die Zukunft stehe fest und wir müssten uns ihr einfach anpassen. So ist es nicht. Die Zukunft ist das Ergebnis der Entscheidungen, die wir heute fällen. Daher können wir uns unsere Zukunft aussuchen.“ (S. 290) Zukunft muss gestaltet werden. Dies umso mehr, als die Menschheit – Singularität hin oder her – an einem Scheideweg in ihrer Geschichte angekommen ist (vgl. S. 289). Der Autor beschreibt dies als den Übergang vom Homo sapiens zum Homo digitalis: Seine Vision ist die „unseres Übergangs in die digitale Wolke“ (S. 35). „Wir werden gleichzeitig in unserem eigenen Gehirn und im größeren digitalen Raum leben“, schreibt er, und es werde uns zunehmend schwer fallen, zu unterscheiden „zwischen dem, was wir denken, und dem, was in der KI-Wolke gedacht wird“ (S. 33). Die Künstliche Intelligenz werde unsere Welt vollkommen verändern. Und deshalb, so Walsh, müssen wir über einen umfassenden Umbau unserer Gesellschaft nachdenken, über neue Gesetze, neue Unternehmensformen, politische Neuerungen, eine neue Ökonomie, eine neue Gesellschaft – um eine bessere Zukunft möglich zu machen.