Der politische Umbruch Osteuropas kann nur der erste Schritt in Richtung einer tiefgreifenden Neugestaltung Gesamteuropas sein. Ausgehend von dieser Prämisse sieht Dieter Senghaas, Friedens- und Konfliktforscher an der Universität Bremen, mit dem Verschwinden des Ost-West-Konfliktes die Chance für die Ausgestaltung dauerhaften Friedens in Europa gekommen. Auf der Basis eines Völlig neuartigen Beziehungsgeflechtes, das noch vor kurzem undenkbar schien, entwirft Senghaas die Struktur einer umfassenden friedenspolitischen Ordnung im gesamteuropäischen Raum. So entsteht guasi der Fahrplan für eine Abfolge zwischenstaatlicher Verhandlungen, die in der völkerrechtlich verbindlichen Etablierung eines europäischen Systems kollektiver Sicherheit (spätestens) am 1.1.2000 gipfeln. Den laufenden Wiener Rüstungskontrollverhandlungen und dem KSZE-Prozess misst Senghaas dabei entscheidende Bedeutung bei. Sowohl in Wien wie auf dem diesjährigen KSZE Sondergipfel könnten bereits erste institutionelle Festlegungen erzielt werden (etwa regelmässige gesamteuropäische Regierungskonferenzen). Ziel ist jedenfalls die Ausweitung westeuropäischer konföderativ-kooperativer Strukturen auf den gesamten Raum. In enger Anlehnung an diesen Prozess entwirft Senghaas das Bild sich auflösender (und ihrer militärischen Existenzgrundlage beraubter) Militärbündnisse. An deren Stelle entstünde in aufeinander abgestimmten Verhandlungsschritten ein Konzept friedlicher Streitbeilegung, später ein europäischer Sicherheitsrat, in dem alle Staaten Europas vertreten sind. Die Lektüre des ,Friedensplanes' birgt den besonderen Reiz, dass die Abfolge der Schritte sozusagen .Jive " nachvollziehbar ist. Senghaas selbst weist auf manche Gefahren hin, die den erdachten Prozess ins Stolpern geraten lassen könnten. Entscheidend dabei ist sicher der Fortbestand sowjetischer Reformpolitik. Ob die von Senghaas angenommene rasche Demokratisierung Osteuropas wirklich in dem Tempo voranschreitet, mit dem sie ihren Anfang nahm, mag in Bezug auf einzelne Länder wie Rumänien oder Bulgarien bezweifelt werden. Eine lesbare Herausforderung: eine pragmatische Vision für ein neues, friedliches Europa.
Europa 2000. Ein Friedensplan. Frankfurt: Suhrkamp, 1990. 127 S. (edition suhrkamp; 1632), DM 10,-1 sFr 8,61 öS 78, Dieter, Senghaas