Risiko Deutschland. Krise und Zukunft der deutschen Politik

Ausgabe: 1994 | 4

Wie weiland das „politische Urgestein" Franz Josef Strauß betätigt sich nun auch der führende Kopf der Grünen, der frischgebackene Bundestagsabgeordnete und Fraktionssprecher Joschka Fischer als „Hobbyhistoriker". Geschichte und Politik haben freilich viel miteinander zu tun. Deshalb sollten historische Grundkenntnisse für Politiker selbstverständlich sein. Dass aber der „Oberrealo" der Ökopartei über solch umfangreiche Kenntnisse verfügt, wie die im Anhang aufgeführten Literaturhinweise belegen, nötigt schon einigen Respekt ab. Der ehemalige hessische Umweltminister sieht in der europäischen Mittellage Deutschlands das grundlegende Problem jeder deutschen Außenpolitik.

Während nach dem 30jährigen Krieg von Deutschland infolge seiner territorialen Zersplitterung für seine Nachbarn keine Bedrohung ausging, müsse jeder vereinigte deutsche Staat laut Fischer eine potentielle Gefährdung für das europäische Mächtegleichgewicht darstellen. Zwar war es nach der Proklamierung des Deutschen Reiches in Versailles dem "eisernen Kanzler" Bismarck mit Hilfe eines komplizierten Bündnissystems gelungen, einer außenpolitischen Isolierung vorzubeugen. Den dilettierenden Nachfahren dieses erstklassigen Diplomaten mussten aber zwangsläufig die Zügel entgleiten, weil dem bismarckschen System ein verhängnisvoller Webfehler zugrunde lag: Während die anderen Völker des europäischen Kontinentes ihre sozialen und gesellschaftlichen Konflikte durch umfassende Veränderungen, etwa in der Französischen Revolution, wenigstens zum Teil lösen konnten, war die Reichsgründung von 1871 ein Rückschritt. Nach der gescheiterten Revolution des Jahres 1848 war die Zivilisierung und Demokratisierung der Deutschen nicht gelungen. Soziale Konflikte suchten sich, wegen der mangelnden demokratischen Teilhabe der Massen, ihr Ventil in Form eines übersteigerten Nationalismus. Der deutsche Chauvinismus war geboren. Und somit musste, so der Autor, zwangsläufig das Schicksal in Gestalt zweier mörderischer Kriege, der Despotie und dem Wahn des Nationalsozialismus seinen Lauf nehmen.

Die Demokratie wurde den Deutschen 1945 von außen durch die Alliierten gebracht. Erst in der Studentenrevolte des Jahres 1968 hätten sie sich auch von innen die Demokratie erkämpft. Für die Zukunft empfiehlt der mittlerweile schwergewichtige Metzgersohn, auch das eine Parallele zu Strauß, eine weitere Zivilisierung der deutschen Politik (dies nun gerade keine Parallele zum säbelrasselnden Rüstungsfreund aus München), wie ein Festhalten an der Westintegration. Nur so lasse sich Deutschland in ein gemeinsames System kollektiver Sicherheit in Europa einbinden und eine neuerliche Isolierung als Folge der Mittellage vermeiden. Langfristig sollte die Nato durch einen Ausbau der KSZE überflüssig gemacht werden.

E.H.

Fischer, Joschka: Risiko Deutschland. Krise und Zukunft der deutschen Politik. Köln: Kipenheuer & Witsch, 1994. 233 (340) 5., DM 39,80/ sFr 33, - / ÖS 304