Nachdenken über Deutschland

Ausgabe: 2017 | 4
Nachdenken über Deutschland

[caption id="attachment_10099" align="alignleft" width="115"] Nachdenken-über Deutschland[/caption]

Das „kritische Jahrbuch“ fasst wichtige politische Themen des Jahres 2016 zusammen und liefert zudem Analysen und Hintergrundinformationen, die im Medienmainstream so nicht zu hören oder zu sehen waren. Natürlich ist diese „etwas andere“ Sicht auf Deutschland in gewisser Weise auch einseitig, spannend und anregend ist die kritische Analyse deutscher und europäischer Themen aber allemal. Dabei wird den Leserinnen und Lesern der nunmehr seit 13 Jahren existierenden „NachDenkSeiten“ (www. nachdenkseiten.de) gedruckt zur Verfügung gestellt, was im Laufe des vergangenen Jahres online zu erkunden war. In 9 Kapiteln geht es u. a. um die „Erosion der Demokratie in Europa“, um „Halbherzige Flüchtlingspolitik und politischen Rechtsruck“, um den Brexit, um Terrorismus und die Verantwortung des Westens, um Strategien der Meinungsmache und um das Ende der Sozialdemokratie. Im Mittelpunkt steht aber die Sorge um den Frieden und die Angst vor einem neuen Krieg. Im Vorwort meint dazu Albrecht Müller: „Für jemanden wie mich, der den Zweiten Weltkrieg mit all seinem Elend als Kind noch miterlebt hat, ist es atemberaubend, jetzt zu beobachten, mit welcher Leichtigkeit Kriege als führbar und als hilfreich für die Lösung politischer Probleme und Konflikte betrachtet werden.“ (S. 7f.)

Beklagt wird vor allem die in den Medien veröffentlichte Meinung, die unisono auf den Aufbau des „Feindbilds Russland“ abzielt. Weit und breit nichts mehr zu sehen von der einst vielbeschworenen Entspannungspolitik. Dafür manipuliert man uns in Richtung eines neuen Kalten Krieges. Albrecht Müller meint dazu, dass wir um die Früchte der vergangenen Friedenspolitik betrogen worden sind. Deshalb ist für ihn das Ziel klar: „Wir wollen in Europa gemeinsame Sicherheit. Auch mit Russland. Wir wollen die Zusammenarbeit und nicht die Konfrontation….“ (S. 50) Nicht überraschend sind auch zahlreiche Vorwürfe an die Medien, denn „die Welt ist voller Meinungsmache“ (S. 189). Dabei kommen die Aufdeckungen rund um die „Panama Papers“ besonders schlecht weg, denn die beteiligten Medien und Institutionen respektieren offensichtlich die Privatsphäre der Briefkastenunternehmer. Für Jens Berger sind die „Panama Papers“ vor allem „ein Fanal für Whistleblower, brisante Daten nicht exklusiv an Medienkonzerne zu vergeben, sondern Enthüllungs- plattformen wie Wikileaks zu benutzen“ (S. 196).

Im Kontext der viel besprochenen „Willkommenskultur“ sehen die „NachDenkSeiten“ in der Flüchtlingsbewegung eine Chance, die Initialzündung für eine andere Politik zu sein, „eine Politik die Fluchtursachen konsequent bekämpft und den Sozialstaat rehabilitiert – gerade auch, um einen gesellschaftlichen Rechtsruck zu verhindern“ (S. 59). Es gibt aber nicht nur Kritik im Jahrbuch, sondern auch Vorschläge für einen Neuanfang, etwa für die EU. Müller beschränkt sich dabei auf einige wichtige Punkt: 1.) Die EU sollte sich s. E. wieder auf die sozialstaatliche Tradition des Zusammenlebens besinnen. 2.) Es sollte ein Infrastruktur-Programm für Bildung und ökologische Vorsorge aufgelegt werden. 3.) Es sollte jedem Land der EU überlassen sein zu entscheiden, welche Leistungen, Dienste und Güter privat organisiert und produziert oder öffentlich produziert werden. 4.) Europa verzichtet auf Steueroasen und 5.) auf weitere Expansion, sondern konzentriert sich auf die Konsolidierung; und schließlich 6.) sollte sich Europa vom Einfluss der USA lösen.

Sorgen machen sich die „NachDenkSeiten“ auch um die SPD und fürchten, dass die Bürgerinnen und Bürger bei der nächsten Bundestagswahl keine Alternative zu Angela Merkel geboten bekommen. Damals wusste man allerdings noch nichts vom Hype um den neuen Herausforderer, aber das ist inzwischen auch schon wieder Geschichte. Etwas zum Schmunzeln bietet der Brief des (ehemaligen) SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel an Oskar Lafontaine mit Vorschlägen zur Zusammenarbeit mit durchaus ernstgemeintem Inhalt, verfasst von Albrecht Müller als Aprilscherz.

Eines führen uns die „NachDenkSeiten“ einmal mehr vor Augen: Es ist ungemein schwierig, in der Medienlandschaft Fiktion von Fakten zu unterscheiden. Eine Herausforderung, der wir uns alle stellen müssen.  Alfred Auer              

Bei Amazon kaufen Müller, Albrecht; Berger, Jens: Nachdenken über Deutschland. Das kritische Jahrbuch 2016/2017. Frankfurt/M.: Westend-Verl., 2016. 263 S., € 16,- [D], 16,50 [A] ; ISBN 978-3-86489-154-0