Theodor W. Adorno

Aspekte des neuen Rechtsradikalismus

Online Special
Aspekte des neuen Rechtsradikalismus

Anlässlich des 50. Todestages von Theodor W. Adorno veröffentlichte der Suhrkamp-Verlag einen Vortrag mit dem Titel „Aspekte des neuen Rechtsradikalismus“ in Buchform. Adorno hielt diesen Vortrag im Jahre 1967 auf Einladung des Verbands Sozialistischer Studenten Österreichs in Wien. Sein Anliegen war es, die damaligen Erfolge der NPD, die 1964 gegründet wurde und die auf ein Wiedererstarken rechtsextremer Tendenzen hindeuteten, in einzelnen Aspekten zu erläutern und dem österreichischen Auditorium näher zu bringen (vgl. S. 60). Wenig überraschend griff Adorno hierfür auf zentrale Elemente der kritischen Theorie Frankfurter Provenienz, der er selbst angehörte, zurück. Diese Theorieströmung versuchte, Marxens Kritik der politischen Ökonomie auf der damaligen Höhe der Zeit zu denken. Dafür verknüpfte sie Elemente des Spätwerks von Marx mit philosophischen, kulturtheoretischen und psychoanalytischen Aspekten, um so die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft in ihrer Gesamtheit und ihren weitläufigen Zwängen besser verstehen zu können. Nach seiner Rückkehr aus dem amerikanischen Exil, in das er aufgrund der nationalsozialistischen Machtergreifung fliehen musste, trat Adorno – u. a. über Radiovorträge und Interviews – wiederholt an die deutsche Öffentlichkeit. Sein Ziel war es, den Menschen die Mechanismen faschistischer Vergesellschaftung näher zu bringen sowie Mündigkeit und potentiellen Widerstand zu fördern, sodass „Auschwitz sich nicht wiederhole, nichts ähnliches geschehe“ („Negative Dialektik“, S. 358). Auch der in Wien gehaltene Vortrag zum Charakter des „neuen Rechtsradikalismus“ ist in diesem Kontext einzuordnen und im Zusammenhang der geschichtsphilosophischen Betrachtungen der Kritischen Theorie zu betrachten.

Für Adorno – und damit beginnt sein Vortrag – ist die Gefahr des Faschismus nach wie vor nicht gebannt. Ihm zufolge ist dies jedoch nicht nur auf die personellen und ideologischen Kontinuitäten des Nationalsozialismus, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges noch lange währten und wohl bis heute noch nicht gänzlich eliminiert und aufgearbeitet wurden, oder auf die von ihm untersuchten Propaganda-Tricks von DemagogInnen, die Adorno in diesem Vortrag ebenfalls ausführlich beschreibt (vgl. S. 22 und 41ff.), zurückzuführen. Es sind allem voran die Struktur und Entwicklung der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, die den Nährboden für die schwelende Gefahr bilden; hierzu zählen der Chauvinismus von jenen, die noch etwas zu verlieren haben (vgl. S. 10); die psychologischen Mechanismen der Projektion und Schuldverschiebung, die die Grundlage für den Hass auf Sozialismus, Intellektualismus und Antisemitismus darstellen (vgl. ebd. und S. 30ff.); die Tendenz, dass durch Rationalisierung und Automatisierung viele Menschen durch drohende Arbeitslosigkeit der „Überflüssigkeit“ anheimfallen (vgl. S. 11f.); der Nationalismus, das „Organ der kollektiven Interessenvertretung“ (S. 12); die Angst des Kleinbürgertums und der KleinunternehmerInnen, die aufgrund der zunehmenden Kapitalkonzentration um ihr Geschäft fürchten müssen (vgl. S. 15f.). Zusätzlich beleuchtete Adorno Zusammenhänge, die heutigen VertreterInnen der Sozialdemokratie oder des demokratischen Spektrums nicht gefallen dürften: So gibt er zu bedenken, dass es die Sozialdemokratie und ihre in der Regel keynesianische Positionierung war, die half, grundlegende, aus Sicht Adornos jedoch notwendige gesellschaftliche Veränderungen zu forcieren (vgl. S. 11); des Weiteren fand die Idee der Demokratie – nicht zuletzt aufgrund von ökonomischen Zwängen – bisher nur eine „formale“ und damit „halbierte“ Realisierung (vgl.  S. 17f.).

Adorno war bewusst, dass eine Veränderung oder gar eine Revolution der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse in weiter Ferne lag. Um zumindest das Schlimmste – ein erneutes Auschwitz – zu verhindern, plädierte er für Aufklärung der Menschen und eine „Erziehung zur Mündigkeit“. Diese „Wendung aufs Subjekt“ zielt u. a. darauf ab, die Menschen vor den Tricks der Demogagen zu „impfen“ (vgl. S. 54), zum eigenständigen Denken zu ermutigen, in reflektierter Kritik zu schulen; alles um – im Falle des Falles – den Mut aufzubringen „nein“ zu sagen und Widerstand zu leisten. Adorno schloss jedoch nicht aus, dass es in ferner Zukunft so etwas wie eine „befreite Gesellschaft“ möglich sein könnte. Umso wichtiger war es ihm, dass das Denken der Kritischen Theorie – ähnlich einer Flaschenpost – weitergetragen wird. Hierfür leistet die hier rezensierte Veröffentlichung sicherlich einen wertvollen Beitrag. Warum die Wahl auf diesen Vortrag fiel, erscheint aufgrund der um sich greifenden autoritären Tendenzen in Europa und anderswo als nachvollziehbar. Vielerorts wurde deshalb Adornos Denken als „hoch aktuell“ charakterisiert. Die Brisanz von Adornos Thesen ist jedoch nicht nur auf seinen „wachen Geist“ zurückzuführen. Es sind vor allem die nach wie vor bestehenden bürgerlich-kapitalistischen Verhältnisse, die dem rechtsradikalen Gedankengut ihren Nährboden bieten und demnach dem Vortrag seine Aktualität verleihen.