Das Buch Doom von Niall Ferguson geht davon aus, dass man die Geschichte der Katastrophen, ob natürlich oder von Menschen gemacht, nicht losgelöst von der Geschichte der Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur und Politik verstehen kann. „Katastrophen kommen selten ausschließlich von außen, mit Ausnahme eines gewaltigen Asteroideneinschlags, wie er sich seit 66 Millionen Jahren nicht ereignet hat, oder der Invasion von Außerirdischen, wie es sie noch nie gegeben hat.“ (S. 32) Und Katastrophen haben tiefgreifende Auswirkungen, die unsere Erwartungen auf den Kopf stellen. „Alle Gesellschaften leben mit der Ungewissheit.“ (S. 33)
Über Katastrophen der Weltgeschichte
Das Buch lässt Katastrophen der Weltgeschichte Revue passieren. Es beobachtet, hält Erkenntnisse eindrücklich fest. Ferguson setzt sich mit Amartya Sens Überlegungen auseinander, wann es zu den großen Hungerkatastrophen kam. Sen diagnostizierte einen starken Zusammenhang mit Diktatur, Bürgerkrieg und Staatsversagen; er sieht Hungerkatastrophen als politische Katastrophen, als falsches Reagieren auf Marktversagen. Demokratische Kontrolle könne Hungersnöte abwenden. Ferguson bestreitet das „Marktversagen“ als Ausgangspunkt, stimmt ansonsten aber zu. Übertragbar auf andere Katastrophen sei dies aber nicht. Gerade der Übergang von Imperien zur Demokratie sei in der Geschichte sehr oft mit Krieg und Zerstörung einhergegangen. (S. 235ff.)
Der Autor sieht sich „kleine“ Katastrophen an, wie den Untergang der Titanic und die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Für ihn ist die Gemeinsamkeit all dieser Desaster eine Kombination aus Betriebs- und Managementfehlern. Der Knackpunkt befinde sich oft gar nicht an der Spitze, sondern in der mittleren Führungsebene. Er verweist hier auf den Physiker Richard Feynman und dessen Theorien.
Sich zur Vermeidung von Katastrophen auf die Wissenschaft zu verlassen, hält Ferguson für eine Illusion. Die Spanische Grippe von 1918 habe der Wissenschaft ihre Grenzen aufgezeigt. Fortschritte der Medizin in Kolonialreichen seien häufig durch die Vernetzung mit Europa und die daraus folgenden Infektionswege wieder zunichte gemacht worden.
Welche allgemeinen Lektionen könne man aus den Betrachtungen in seinem Buch mitnehmen, fragt Ferguson. Erstens dürfte es schlichtweg unmöglich sein, die meisten Katastrophen vorherzusehen oder auch nur Wahrscheinlichkeiten anzugeben. „Sie gehören in den Bereich der Ungewissheit, nicht des Risikos.“ (S. 43) Zweitens nehmen Katastrophen zu viele Formen an, um mit herkömmlichen Methoden des Risikomanagements vorgehen zu können. Drittens seien nicht alle Katastrophen globaler Natur. „Doch je stärker sich die Menschheit vernetzt, umso größer ist die Gefahr der Ansteckung, und zwar nicht nur biologischer Art.“ (S. 44) Ferguson betont viertens das Versagen der Gesundheitsbehörden in der Corona-Pandemie, die Reaktionen (er bezieht sich auf die USA und Großbritannien) seien träge und wirkungslos gewesen. Und Ferguson stellt zu Recht die Frage, ob in diesem nur die Gesundheitsbehörden und nicht viel mehr die gesamten staatlichen Verwaltungen betroffen seien. Fünftens beobachtet er, dass in Zeiten großer gesellschaftlicher Belastungen religiöse, quasi-religiöse und ideologische Impulse eine rationale Reaktion behindern würden. (S. 45)
Ein Blick in die Zukunft
Nach diesen Lektionen aus vergangenen Katastrophen blickt der Autor in die Zukunft nach der Corona-Pandemie. Großstädte werden nicht „out“ sein, nur ein paar Reiche werden wegziehen, die Städte würden höchstens billiger, schäbiger und jünger werden. (S. 480) Die bestehenden Spannungen im Generationenvertrag werden sich kaum verändern, die Übersterblichkeit falle kaum ins Gewicht. Junge aber würden mehr Probleme haben, Arbeit zu finden und Spaß zu haben, da dies sehr häufig mit Menschenmengen verbunden sei. Abstand gehe einher mit Depression, Kommunikationselektronik werde natürlich wichtiger, wenn versucht wird, die Distanz zu überbrücken. (S. 481)
Ferguson sieht für die Zukunft nicht nur Gefahren durch Katastrophen, sondern vor allem auch durch unsere Vorbereitung auf diese. Die Entstehung einer allgegenwärtigen Überwachung, auf präventiver Polizeiarbeit basierend, ein globaler Kontrollmechanismus und Ähnliches seien Schritte in einen Totalitarismus. „Wer die Regierungen dazu aufruft, sich gegen die Gefahren der Menschheit zu verbünden, sollte die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass diese Verbündung selbst die größte Gefahr ist“ zitiert er den Wirtschaftswissenschaftler Bryan Caplan (S. 488).