Wohlstandsverwahrlosung - was Wohlstand aus unseren Kindern macht

Ausgabe: 1994 | 1

Der Zürichberg ist Synonym für die trügerische der Wohlhabenden. Charakteristikum ihrer zur Freizeitgemeinschaft reduzierten Familie sind oberflächlich verführerische Verlockungen, deren Langzeitfolgen gravierend ausfallen: Der gesellschaftlich gut situierte, stressgeplagte Vater bringt für das mit Geschenken aller Art überschüttete und dennoch nie glückliche Kind an einem Wochentag durchschnittlich acht Minuten und an "gemeinsamen", meist von sportlicher Einzelertüchtigung geprägten Wochenenden zu dritt stolze 14 Minuten auf.

Die Mutter, wohlgestylt wie der heranwachsende Sprössling, erfüllt hingegen in erster Linie die Funktion einer Managerin, um dem Kind die vermeintlichen Segnungen einer guten Kindheit zukommen zu lassen. Aufgerieben zwischen Schule, Klavier- und Tennisunterricht. Ballettstunde und einer Fülle von sozialer Beziehunqslosiqkeit geprägten Kontakten ist das Kind von Nähe, naheliegenden Werten und selbstqewählter Orientierung abgeschnitten - der ideale Nährboden emotionaler Abstinenz und Karrieresucht, der im Dunstkreis fiktionaler Scheinwelten verkrüppelte Menschen heranwachsen läßt. Der Autorin, als Psychologin ausgewiesen und auch in ihrer Rolle als Mutter um die Klärung des eigenen Standorts bemüht, geht es nicht um rnoralisierende Schuldzuweisunq. Pointiert, zum Teil provozierend und sensibel zugleich analysiert sie das zur "Patchwork-Identität" reduzierte Heranwachsen der "wohlstandsverwahrlosten" Jugendlichen und legt die psychosozialen Folqen bloß.

Triebhemmung, Motivationslosigkeit, der gestörte Umgang mit Stimmungen sind nur ein Teil der gravierenden Defekte. Um die vielfach beherrschte Technik versierter Kommunikation durch eine Haltunq sozialer Beziehungsfähigkeit zu ergänzen, fordert Zöllner primär die Erwachsenen dazu auf, die eigenen Werthaltungen kritisch zu reflektieren, Stellunq zu beziehen und dem Kind Zeit und Muße zu gewähren, um zu sich selbst zu finden und kreative Freiräume zu nützen, die es erst zu einer ganzheitlichen Persönlichkeit werden lassen. Und selbstbewusst an ihresgleichen gewandt: "Wir müssen einen Lebensstil verweigern, den wir als schädigend für unsere Kinder erkannt haben, und auf eine Familienreform pochen, die andere Schwerpunkte setzt. Wir müssen Schluß machen mit dem Zirkel: Flucht - Schuldgefühle - Verwöhnung. Wir müssen unsere Verantwortung wahrnehmen, uns der Beziehungsaufgabe stellen, damit wir nicht noch mehr emotional frustrierte, materiell entschädigte und psychisch geschädigte Kinder aufziehen."

WSp.

Zöllner, Ulrike: Die Kinder vom Zürichberg. Was der Wohlstand aus unseren Kindern macht.

Stuttgart: Kreuz, 1993. ca. 160 S. ca. DM 24,80/ sFr 23,- / öS 193