Welt im Wandel

Ausgabe: 2012 | 3

Bereits 2003 hat die Global Szenario Group in der Studie „The Great Transition“1) Bedingungen und Barrieren für den Wandel hin zu nachhaltigen Gesellschaften untersucht. Als „pressure“-Faktoren für den Wandel wurden etwa ein stressiges und gehetztes Leben oder der drohende Verlust von Entscheidungsfreiheit ausgemacht. Als „Sog“-Faktoren galten den AutorInnen damals u. a. der Wunsch nach einem sinnerfüllten, selbstgewählten Leben, eine Ethik der Mitverantwortung oder die Hoffnung auf mehr Zeit für persönliche Dinge sowie der Wunsch nach Nähe zur Natur.

 

 

 

Models of Change

 

Die Mitarbeiterin des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, Energie, Kora Kristof2), hat in der Folge Ansätze über die Verbreitung sozialer Innovationen („Models of Change“) zusammengetragen und in zwei Fachpublikationen vorgestellt. Mit der Postwachstumsdebatte wurde ein Paradigmenwechsel auch in der Wirtschaft angestoßen. Niko Paech (PZ 2012/2) etwa spricht von „Inseln des Übergangs“. 2011 hat nun der Wissenschaftliche Beirat für Globale Umweltveränderungen der Deutschen Bundesregierung (WBGU) das Thema aufgegriffen und einen „Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“ ausgearbeitet. Einer ausführlichen Analyse der Befunde der gegenwärtigen Weltentwicklung folgen Handlungsempfehlungen für diesen „großen Wandel“ in den Bereichen „Klimaverträglichkeit“, „Energiewende“, „Nachhaltige Urbanität“ sowie „Nachhaltige Landnutzung“. Auch die Transformationsstrategie des WGBU geht von „förderlichen“ und „hemmenden“ Faktoren aus. Als Blockaden für eine Dekarbonisierungsstrategie werden alte Pfadabhängigkeiten (z. B. langfristige Investitionen in alte Energiesysteme), die gebotenen engen Zeitfenster für die Veränderungen, globale Kooperationsblockaden, die rasante Urbanisierung (2050 sollen 6 Mrd. Menschen in Städten leben, so viel wie die derzeitige Weltbevölkerung ausmacht) sowie die günstig verfügbaren Kohlevorräte angesehen. Als begünstigende Faktoren gelten dem WBGU das Vorhandensein neuer Technologien, die Möglichkeit zu deren Finanzierung, ein Wertewandel zur Nachhaltigkeit, der Aufbau globaler Wissensnetzwerke und mögliche Begleitnutzen der Transformation, etwa für neue Wirtschaftsbranchen (S. 284, Grafik). Unter Bezugnahme auf den Wirtschaftshistoriker Jürgen Osterhammel wird von „Häufigkeitsverdichtungen“ klimaverträglicher Innovationen gesprochen, die den Wandel beschleunigen könnten. Als zentrale Akteure macht der WBGU „Pioniere des Wandels“ aus, die von „Nischenakteuren“ zu „Agenda Settern“ werden und damit die Nische verlassen und „Breitenwirksamkeit durch gesellschaftliche Routinisierung“ erlangen könnten.

 

Dem „gestaltenden Staat“ käme dabei die Aufgabe zu, die Nischenakteure zu unterstützen und Rahmenbedingungen für den Wandel zu schaffen (S. 285). Vorgeschlagen werden u. a. Klimaverträglichkeitsprüfungen für Gesetze und öffentliche Projekte, die konsequente Bepreisung von CO2 oder die Förderung nachhaltiger Energiedienstleistungen in Entwicklungs- und Schwellenländern (Neuausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit). Notwendig hierfür sei ein „neuer Gesellschaftsvertrag“, basierend auf einem „starken, gestaltenden und aktivierenden Staat“ (S. 294), der „für die Zustimmung zu Nachhaltigkeitszielen die Bürgerschaft an den zu treffenden Entscheidungen beteiligt“ (ebd.). Nicht zuletzt müsse der Dialog von Politik und Wirtschaft mit der Zivilgesellschaft sowie der Wissenschaft „verbindlicher strukturiert“ werden (S. 294). Insgesamt hofft der WGBU darauf, dass die koordinierte Umsetzung der vorgeschlagenen Maßnahmen den Wandel ermöglichen und zeitgerecht voranbringen werde. Wesentlich dafür sei, „ob man den Menschen zutraut, als vernunftbegabte Wesen die sich aus der Krise des Erdsystems ergebenden Konsequenzen zu ziehen“ (S. 293).

 

Kollektives Lernen

 

Diese zugegeben etwas allgemein gehaltene Hoffnung ist Ausgangspunkt einer Studie von Manfred Linz zur Frage „Wie lernen Gesellschaften heute?“. Vier zentrale Aspekte nennt der Autor für Lernen unter den komplexen Bedingungen der heutigen Weltgesellschaft: Zu lernen sei, 1.) unsere langfristigen Interessen so ernst zu nehmen wie unsere kurzfristigen Interessen und unsere gemeinsamen Interessen wichtiger zu nehmen als unsere Einzelinteressen (S. 8); 2.) dass wir Menschen auf diesem Planeten auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen sind (S. 10); 3.) das Wohlergehen der Einzelnen wie der Gesellschaften unabhängig vom Wirtschaftswachstum zu suchen (S. 11); 4.) die schwindenden Möglichkeiten, Probleme durch den Einsatz höherer Finanzmittel (also durch Geld schöpfen und Schulden machen) zu verschieben, nicht als ein Verhängnis zu sehen, sondern mit alternativem Handeln aktiv zu gestalten, und „diese Aufgabe zwar auch als einen Aufruf zur Veränderung des persönlichen Lebensstiles zu verstehen, in erster Linie aber als einen der ganzen Gesellschaft gestellten Auftrag anzugehen“ (S. 23). Lernen heiße damit weniger, den Bestand zu erweitern, „sondern Gewohntes zu verlassen, auch gewohntes Wissen, Grenzen zu überschreiten, Neuland zu betreten“. Lernen heiße in diesem Sinne auch „verlernen“ (S. 8) und sich auf ein „Weniger“ einzustellen. Zu lernen sei „nicht freiwillige Kargheit und auch nicht Bedürfnislosigkeit“, sondern „in ein bescheideneres Leben einzuwilligen und Lebensfreude und Lebenssinn mehr als gegenwärtig aus dem zu ziehen, was nur Menschen sich selbst und einander geben können“ (S. 19). Viel mehr als gewohnt, sei das, „was Lebensgenuss bewirkt und Lebensglanz verleiht, als von Geld unabhängig zu erfahren“ (ebd.). Wiederum vier Motivationsmöglichkeiten benennt Linz für Veränderung (s. 23ff.): 1.) die Aussicht auf Gewinn – in unserem Falle auf nicht materiellen (dem traut der Autor aber nicht zur Gänze; sich „aus dem Hamsterrad der Statusvergleiche zu lösen“, werde keine „Mehrheitsbewegung“ werden); 2.) die Angst vor Verlust (hier vor allem unserer Lebensgrundlagen); 3.) der soziale Antrieb als Wunsch zum Wohlergehen der Gesellschaft beizutragen sowie 4.) schließlich die „Einsicht in die Unausweichlichkeit der Veränderung“. Auf diese setzt der Autor insbesondere und führt hierfür als Bedingungen an, dass die abverlangten Veränderungen einsichtig begründet sein und alle nach ihrer Leistungsfähigkeit treffen müssten. Linz ist aber Realist genug und glaubt nicht an allein freiwillige Veränderung. Die wichtigen Entscheidungen zur Zukunftsfähigkeit könnten von unten vorbereitet werden, sie würden die ganze Gesellschaft aber nur erreichen, wenn sie politisch durchgesetzt werden. Der Experte spricht daher von „verordneter Nachhaltigkeit“ (S. 27). Erst durch entschlossenes politisches Handeln, also einen gestaltenden Staat (s. o. WGBU) werde sich nachhaltiges Wirtschaften und Konsumieren durchsetzen lassen: „Es werden Gesetze und Verordnungen den Raum abstecken, innerhalb dessen Freiheit herrschen kann. Es wird ein bestimmtes Verhalten mit Anreizen ermutigt und anderes mit Belastungen entmutigt werden. Es werden Steuern und Abgaben erhöht und Vergünstigungen beendet werden.“ (S. 27) Die „offene Diskussion in den Medien und unter den Bürgern und Bürgerinnen“ wie auch die „kämpferische Mitwirkung der Zivilgesellschaft“ werde es den handelnden PolitikerInnen ermöglichen, die „lähmende Ambivalenz zwischen Einsicht und Mehrheitsbeschaffung aufzugeben und mutige Lösungen voranzubringen“ (S. 28). H. H.

 

 

 

 Welt im Wandel. Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation. Hrsg. v. WBGU, Berlin: Eigenverl. 2011. Download: www.wbgu.de/hauptgutachten/hg-2011-transformation

 

 Linz, Manfred: Wie lernen Gesellschaften – heute? Zur Verwirklichung politischer Einsichten oder: Abschied vom Wunschdenken. Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie [Impulse zur WachstumsWende; 4] Februar 2012. 31 S. Download: www.wupperinst.org