Philipp Blom

Das große Welttheater

Ausgabe: 2020 | 3
Das große Welttheater

Aus Anlass des 100-Jahre-Jubiläums werden die Salzburger Festspiele – in welcher Form auch immer sie 2020 über die Bühne gehen werden –  von einer Ausstellung mit dem Titel  „Das große Welttheater“  begleitet, die ihre Geschichte dokumentiert und erläutert. Helga Rabl-Stadler und Markus Hinterhäuser, Präsidentin und Intendant der Kulturinstitution, haben darüber hinaus Philipp Blom eingeladen, sich zum Thema Gedanken zu machen.  

Blom, der es wie kaum ein anderer versteht, große Zusammenhänge zu beleuchten und diese auch auf höchst ansprechende, allgemein verständliche Weise zu vermitteln, widmet sich in dem nun vorliegenden Essay keineswegs der Bühnenkunst oder der Musik (über die zu reflektieren er nachweislich auch berufen wäre). Sein Thema ist vielmehr die Welt, genauer gesagt, die Geschichte vom Barock bis hin zur Gegenwart und den mit ihr verbundenen globalen Herausforderungen. Ausgehend von seiner persönlichen Biografie und Erlebnissen, die ihn als jungen Menschen geprägt haben, ergründet Blom,  wie Bilder und Geschichten, die stets ja Werthaltungen zum Ausdruck bringen, Gesellschaften prägen, um nach und nach durch neue Erzählungen ergänzt und schließlich verdrängt zu werden, um wiederum anderen zu weichen. 

Drei Erzählungen haben das westliche Denken entscheidend geprägt 

Es sind im Wesentlichen drei „große Erzählungen“, die im Verlauf der letzten vier Jahrhunderte das westliche Denken geprägt haben. Die Welt des Barock, wie sie Calderón in seinem „Großen Welttheater“ beschrieben hat,  wurde als eine von Gott gesetzte Ordnung verstanden, in der der Mensch die ihm zugedachte Rolle zu erfüllen, und nicht zu hinterfragen hatte. Dieses statische Weltverständnis wurde, wie der Autor auch an anderer Stelle überzeugend dargestellt hat, durch die „Kleine Eiszeit“ und die Pest nachhaltig erschüttert. Als diesem „Aufstand der Natur“ selbst durch Hexenverbrennungen nicht beizukommen war, setzte sich nach und nach eine neue Erzählung durch, in der die (Natur-) Wissenschaften sowie die Ideale von Freiheit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit im Mittelpunkt standen und schließlich die Deutungshoheit erlangten.  Mit der vom Erdöl befeuerten industriellen Revolution nimmt schließlich, wie uns heute immer klarer wird, der „Krieg gegen die Zukunft“ (S. 47) seinen Anfang, deren „Omega-Phase“ (H. J. Schellnhuber) wir heute mutmaßlich erleben. Und dennoch spricht vorerst noch wenig dafür, dass wir am Beginn einer tiefgreifenden Kurskorrektur stehen. Blom wagt einen drastischen Vergleich, der, zu Ende gedacht, aber auch zu Hoffnung Anlass gibt: „Die eskalierende Ausbeutung und Verpestung der Welt ist das gegenwärtige Äquivalent zu den Hexenverbrennungen des 17. Jahrhunderts: Es ist der hilflose Aktivismus einer Zivilisation, die keine Alternative sieht, die sich im Recht weiß, die auf vergangene Erfolge zeigt, um gegenwärtiges Handeln zu rechtfertigen, die sich selbst immer wieder dieselben, alten Geschichten erzählt.“  (S. 54)

Die Epoche des „Endarkement“ 

Die vorrangig praktizierte Beschleunigung und Transformation gründet indes auf der „Idee der unendlichen Flexibilität des Menschen“, die jedoch weder anthropologisch noch neurologisch belegbar ist“ (S. 58). Was damit einhergeht und nicht weniger schwer wiegt, ist, dass zugleich zentrale Errungenschaften der Moderne wie die liberale Demokratie oder die Universalität der Menschenrechte  unter Druck geraten. „Die schönste Geschichte, die sich die Menschheit je erzählt hat, ist auf dem Weg, im Archiv der gescheiterten Experimente abgeheftet und weggeräumt zu werden.“ (S. 78) Ist es in Anbetracht dieser Befunde nicht Zeit zu erkennen, dass wir in der Epoche des „Endarkement“  (S. 83) angekommen sind? Denn: „Je stärker Kollektive von innen und von außen unter Druck geraten, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Angst und Aggressionen wachsen, Identitäten sich verengen, dass noch stärker längst unwahr gewordene Geschichten über historische Kämpfe und Überlegenheit erzählt werden.“ (S. 83) 

Auch wenn dem so ist, plädiert Philipp Blom vehement dafür, die sprichwörtliche Flinte nicht ins Korn zu werfen, und gibt gleich auch die Marschrichtung vor: „Die doppelte Stoßrichtung der Aufklärung verbindet empirisches, belastbares Wissen mit notwendigen Fiktionen. Was also wäre, wenn man die Aufklärung ambitionierter, konsequenter denken würde?“ 

(S.  87). Als Wegbereiter dieser neuen Sicht der Welt nennt Blom unter anderem Bruno Latour und James Lovelock, würdigt aber auch „ein schwedisches Mädchen […], „eine moderne Jeanne d’Arc, die einer korrupten Gesellschaft den Spiegel vorhält“ (S. 118). Das Friedensprojekt der Gegenwart voranzubringen, seien jedoch vor allem Kunstschaffende berufen, und mit ihnen Institutionen wie die Salzburger Festspiele unverzichtbar. Die dem Auftraggeber gegenüber bezeugte Wertschätzung sei hiermit auch dem Autor gegenüber zum Ausdruck gebracht.