Wege aus der Finanzkrise

Ausgabe: 2008 | 4

„Wenn Sie eine kuschelige Pension planen – vergessen Sie es. Bereiten Sie sich auf höhere Steuern, geringere Sozialleistungen und Inflation vor.“ Mit dieser im vorliegenden Band zitierten Aussage schreckte der Wirtschaftsprofessor Lawrence J. Kotlikoff bereits 2006 die Leser des Newsmagazins „Time“ aus ihren gemütlichen Zukunftsträumen. Und er rechnet seinen Landsleuten vor, dass heute ein Rentner aus den Gesundheitsprogrammen Leistungen von rund 30.000 US-Dollar erhält, 2035 sollen diese Leistungen auf 50.000 Dollar ansteigen. „Die gesamten Kosten für die dannzumal 77 Millionen Babyboomer in Rente belaufen sich also auf jährlich 3.850 Milliarden US-Dollar.“ (zit. S. 10f.) Die düsteren Prognosen des US-Ökonomen veranlassten den Privatbankier und Autor Karl Reichmuth, Wege aus der Krise zu formulieren. Denn vor allem Sparer und Anleger seien begierig darauf zu erfahren, „was nun wirklich zu tun ist“. Voraussetzung für eine Wende sind für den Bankexperten, dass „alle Verantwortlichen aus der Krise lernen“.

Einführung des Haftungsprinzips

Die Ausführungen beginnen mit einer bemerkenswerten Aussage des Autors während eines Symposiums in der Schweiz, bei dem über das Schuldenmachen nachgedacht wurde: „Das gesellschaftliche Verschuldungsproblem lässt sich nur lösen, indem Entscheidung und Haftung zusammengeführt werden.“ Dieser Satz stammt von Joachim Starbatty, einem emeritierten Professor für Volkswirtschaftslehre, der in seinem Beitrag „Wir veruntreuen die Zukunft unserer Nachkommen“ davor warnt, dass wir die Jugend veruntreuen, wenn wir den nachfolgenden Generationen untragbare Lasten aufbürden. Die Frage sei, ob die derzeit vorgeschlagenen Maßnahmen ausreichen, um Krisen in Zukunft zu verhindern und v. a., ob es damit gelingt, die notwendige Zusammenfügung von Entscheid und Haftung in der Politik und im Finanzgeschäft zu realisieren. Der Rückblick auf Adam Smith und Karl Marx zeige, so Starbatty, dass beide eine „tiefe Abneigung gegen staatliche Verschuldung“ (S. 23) hatten. Diese lasse die Preise für Konsumgüter steigen und verschärfe den Steuerdruck, was die Freiheit der Menschen einschränke und den Zwang zur Arbeit erhöhe. Der Volkswirtschaftler geht in der Folge auf Deutschland ein, wo die öffentliche Verschuldung seit 1970 von umgerechnet 63 Mia. auf inzwischen mehr als 1,5 Billionen Euro gestiegen sei. Der jährliche Zinsen- und Tilgungsdienst belastet die Haushalte auf Bundesebene mit 42 Milliarden Euro, d. s. 15 Prozent des für 2008 veranschlagten Bundeshaushalts.

Zukunft der Finanzpolitik

Wie würde nun ein System aussehen, das die Jugend vor Veruntreuung dieser Art schützt? Jedenfalls müsste die Therapie tiefer greifen als bisher vorgeschlagen: „Solange goldene Fallschirme eine Crash-Landung des verantwortlichen Managements verhindern und ein goldener Handschlag den Abschied lukrativ macht, muss nach geraumer Zeit, wenn die Aussichten auf hohe Gewinne die Erfahrungen aus der Subprime-Ära wieder überstrahlen, mit neuen hoch riskanten Engagements auf anderen Tätigkeitsfeldern gerechnet werden.“ (S. 39) Starbatty schlägt u. a. vor, die Zentralbanken disziplinierenden Regel (z. B. durch Einschränkung des Spielraums der Zentralbankleitungen) zu unterwerfen. Die Verhinderung und der Abbau von Staatsschulden ist auch Thema in diesem Band bei Uwe Wagschal, Professor für vergleichende Regierungslehre. Aus seiner Sicht liegt in der Ausgabenreduktion der entscheidende Hebel zur Sanierung der öffentlichen Finanzen. Wagschal kommt zu dem Schluss, dass nationale Regeln erfolgreiche Konsolidierungen nur bedingt erklären können: „Als bedeutsamer erwiesen sich die Kriterien des Vertrags von Maastricht sowie des Europäischen Stabilitätspaktes, vor allem wirkt offenbar eine institutionelle Zentralisierung der Kompetenzen.“ (S. 81) Seit der Einführung des Euro ist sein Wert in nur neun Jahren um 18 Prozent gesunken, so rechnet der Journalist Beat Kappeler vor. Er macht Vorschläge für eine bessere Geldpolitik der Notenbanken und zeigt mit Blick auf die USA, wie Regierung und Notenbank zwar in die gleiche aber falsche Richtung marschieren können – mit einem Kaufkraftpaket von 160 Mia. Dollar in Form von Steuerrückvergütungen und einer markanten Zinssenkung der Notenbank. Ein Kurswechsel könnte seiner Ansicht nach nur dadurch gelingen, dass fähige Bankiers wieder Produkte entwickeln, die reale Werte abbilden. Darüber hinaus schlägt er eine Rückkehr zur Golddeckung aller Währungen vor. „doch dann müssten Lohnbezüger, Industrielle und Politiker bereit sein, die Geldillusion zu überwinden und fallende Löhne und Erlöse hinzunehmen.“ (S. 101) Hauptautor Karl Reichmuth warnt vor staatlicher Geldschöpfung im Zusammenhang mit der Krise: Anstatt den Globus aufgrund der Tiefzinspolitik mit Geld zu überschwemmen, „müsse die USNotenbank die Zinsen anheben und damit die Geldmenge verknappen. Und alle anderen Zentralbanken müssten ihr folgen, um einen globalen Bankenrun zu verhindern.“ Entscheidend für die Zukunft sei die Geldwertstabilität, deshalb müsse die Lösung heißen: „ehrliches Sanieren statt unehrliches Manipulieren auf Kosten aller“ (S. 11f.). Der Bankier sieht in der gegenwärtigen Krise das bisher bedrohlichste Symptom eines grundsätzlichen Problems. Er beschwört seine Kollegen geradezu, die Verantwortung für ihr Handeln wieder selbst zu übernehmen. (vgl. S. 103f.) A. A.

 

Reichmuth, Karl: Wege aus der Finanzkrise. Entscheid und Haftung wieder zusammenführen. Kappeler, Beat … (Mitarb.). Zürich: Verl. Neue Zürcher Zeitung, 2008. 157 S., € 25,- [D], 25,70 [A], sFr 30,80 ISBN 978-3-03823-466-1