Von der Finanzkrise zur solidarischen Gesellschaft

Ausgabe: 2009 | 2

Bis zum Spätsommer beherrschte der Klimawandel die öffentliche Debatte. Diese wurde dann schlagartig durch die Finanz- und die dadurch entstehende Weltwirtschaftskrise abgelöst. Franz Groll beleuchtet beide Phänomene als Auswirkungen des Kapitalismus, der systeminhärent dem Expansions- und Akkumulationszwang unterliege. Der Autor, der 26 Jahre als Ingenieur bei IBM tätig war, dann in die Entwicklungszusammenarbeit wechselte und sich nun bei Attac Deutschland und (nach 25-jähriger Mitgliedschaft bei der CDU) bei der Partei „Die Linke“ engagiert, prognostiziert nicht weniger als das bevorstehende Ende des Wachstums der kapitalistischen Wirtschaft und skizziert einen Übergang in eine postkapitalistische, solidarische Gesellschaft. Denn nur diese mache das Erreichen der Klimaschutzziele möglich.

 

Doch der Reihe nach. Geboten wird zunächst ein Überblick zur Geschichte des Wirtschaftens von den Jäger- und Sammlergesellschaften bis herauf zu den ersten ausdifferenzierten Stadtstaaten des europäischen Mittelalters sowie in der Folge der Ausbreitung des Industriekapitalismus samt seinen ersten Krisen, insbesondere den beiden Weltkriegen. Groll würdigt in der Folge die Errungenschaften der sozialen Marktwirtschaft nach 1945 und beschreibt deren schrittweise Demontage durch den Neoliberalismus.

 

Die zentralen Krisen des Kapitalismus ortet der Autor in der Überproduktion, der übersteigerten Spekulation – und ähnlich wie Woltron – in der „exzessiven Geldschöpfung“. Da die Basis für real geschaffene Werte in der menschlichen Arbeit läge, seien durch Spekulation und Geldschöpfung entstandene „Werte“ brüchig und krisenhaft. Und da die effektiven Gewinne immer aus der realen Wirtschaft gespeist werden müssten, könne sich der Finanzmarkt nicht dauerhaft „unabhängig von der realen Wirtschaft“ entwickeln (S. 105). Die unvorstellbare Gewinnentwicklung an den Finanzmärkten in den letzten 15 bis 20 Jahren hätte jedoch auch in der Realwirtschaft zur Begehrlichkeit nach immer höheren Gewinnen geführt. Diese gingen „zwangsläufig zulasten der Reallöhne, da selbstverständlich die erzeugten Werte nur einmal verteilt werden können“ (S. 105). Die Ursache für den Wachstumszwang sieht der Autor im Zwang der Unternehmen, immer höhere Zinsen für die aufgenommenen Kredite bedienen zu müssen. Dies und die zunehmende Konzentration des Reichtums würden das System schließlich ins Wanken bringen.

 

Wo sieht Groll Auswege? Er skizziert zunächst eine Perspektive gegen die weitere Öffnung der sozialen Schere „im Rahmen des kapitalistischen Systems“, die drei Schritte umfasst: 1.) die breite Streuung des Vermögens „auf die gesamte Bevölkerung“, 2.) die verstärkte Finanzierung von Investitionen über Steuern (vor allem aus Kapitaleinkommen und Vermögen) sowie 3.) eine Senkung der Kapitalrendite bzw. deren steuerliche Abschöpfung (S. 114). Da diese Veränderungen derzeit an der Machtfrage scheiterten und – was noch wichtiger sei – angesichts der Umweltkrise auch nicht ausreichten, müssten wir eine noch grundlegendere Umsteuerung anstreben: eine neue Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, „die in der Lage ist, uns aus dem kapitalistischen Zeitalter ‚des Nicht genug’ in das Zeitalter ‚des Genug’ zu führen.“ (S. 116) Dieser Übergang werde sich nicht unproblematisch vollziehen: „Auf viele Gewohnheiten werden wir verzichten müssen, ebenso viel Neues, auch Angenehmes werden wir erfahren.“ (S. 117)

 

 

 

Solidarische Gesellschaft

 

Im zweiten Teil des Buches beschreibt Groll die Grundzüge dieser neuen, solidarischen Wirtschaft: Diese sei für alle Menschen da, „alle müssen darin in allen Situationen des Lebens ein ausreichendes Auskommen haben und alle Arbeitsfähigen ihre Talente einbringen“ (S. 118). Der technische Fortschritt komme darin allen zu Gute, und erst das Gefühl der Wertschätzung und Zukunftssicherheit bringe die Kreativität der Menschen zum klingen. Der Autor beschreibt die Bausteine einer solidarischen Gesellschaft, die Bedeutung von Bildung und Erziehung, die Rolle der Wissenschaften, die Aufgaben der Politik und eines neuen Steuersystems, nicht zuletzt die Rolle von Unternehmen, die weiterhin marktwirtschaftlich geführt, aber auf Produkte beschränkt würden, die auch ohne großen Werbeaufwand gekauft würden. Gewinne würden ebenfalls begrenzt – Groll schlägt  auf maximal 5 Prozent der Lohnsumme vor, da das Erwirtschaftete das Werk aller Arbeitenden sei. Aktiengesellschaften würden verboten und von Teilhabergesellschaften abgelöst, die Mitbestimmung in den Betrieben würde stark ausgeweitet (Argument wie oben).

 

Als zentral erachtet der Autor markante Umverteilungen innerhalb der Arbeitseinkommen (Berufe mit Hochschulabschluss sollen maximal mit dem Fünffachen des Mindestlohnes abgegolten werden) sowie bei den Vermögen (Zinsen und Gewinnen sollen beschränkt werden). Die Spekulation würde ganz unterbunden, die Tätigkeit der Banken wieder auf ihre eigentliche Aufgabe zurückgeführt, und die Kontrolle des Geldes, Geldverkehrs und der Geldvermögen durch den Staat übernommen.

 

 

 

Kritik an „Rettungsaktionen“

 

Groll ist überzeugt, dass mit den derzeit vollzogenen „Rettungsaktionen“ gegen die Finanzkrise die Chance, die Kapitalblase zu verkleinern, und damit auf eine Gesundung des Wirtschaftssystems vertan werde. Die Maßnahmen der deutschen Regierung seien „nichts anderes als ein Rettungsversuch für das Überleben des kapitalistischen Systems, der auf dem Rücken der Mehrheit der Bevölkerung ausgetragen wird, zugunsten einer Minderheit mit hohen Vermögen“ (S. 196). Es werde die Botschaft ausgesandt, dass man ruhig gewagte Spekulationsgeschäfte eingehen könne, denn „in der Not wird der Staat schon helfen“ (ebd.). Der Autor hofft jedoch auf einen Meinungswandel in der Bevölkerung: „Die Menschen haben es förmlich satt, die Melkkühe für eine relativ kleine Schicht von Kapitalbesitzern zu sein.“ (S. 216). So wie sich die BürgerInnen der DDR bewusst geworden seien, dass sie das Volk sind, so würden sich „in wenigen Jahren die Menschen darüber bewusst werden, dass ihre Arbeitsleistung die Quelle des Wohlstands ist, der dementsprechend gerecht zu verteilen ist“ (S. 217). Groll fordert insbesondere die Kirchen auf, sich in diesem Sinne für (globale) Gerechtigkeit zu engagieren, er hofft auf offene Gewerkschaften und auch auf die „vielen verantwortungsbewussten Unternehmer, Handwerker, Selbstständige und Landwirte, denen klar ist, dass sie nicht den Ast absägen dürfen, auf dem sie sitzen“ (S. 209) und er setzt auf neue politische Bewegungen, wie etwa „Die Linke“ in Deutschland.

 

Ein Band mit zahlreichen Vorschlägen zur Umsteuerung, der auch den häufig vorgebrachten Gegenargumenten wie etwa die Fluchtmöglichkeit des Kapitals nicht ausweicht, jedoch darauf beharrt, dass das erwirtschaftete Vermögen das Werk aller ist und daher allen zu Gute kommen müsse. Das Buch ist somit ein Appell an uns als BürgerInnen, von der Politik die entsprechenden Rahmensetzungen zu bewerkstelligen. Ein Plädoyer für eine Marktwirtschaft ohne Kapitalismus. H. H.                  W

 

Groll, Franz: Von der Finanzkrise zur solidarischen Gesellschaft. Visionen für eine zukunftsfähige Wirtschaftsordnung. Hamburg: VSA-Verl. (u. a.), 2009. 222 S., € 16,80 [D], 17,30 [A], sFr 28,50

 

ISBN 978-3-89965-356-4