Edward Luttwak, international anerkannter Berater und Militärstratege, ist spätestens seit seinem 1994 in Deutsch erschienen “Weltwirtschaftskrieg” einem breiteren Publikum bekannt. In Turbo-Kapitalismus warnt er neuerlich vor den katastrophischen Auswirkungen eines außer Kontrolle geratenen freien Marktes und eines sich jeder Steuerung entziehenden Systems. Die deutschsprachige Kritik des “neoliberal entfesselten Kapitalismus” hatte schon 1997 an Luttwaks Begriff angeknüpft, um die “Profitmacherei im Hochgeschwindigkeitstempo” zu thematisieren (Altvater/Haug/Negt u.a.). Luttwak selbst ist ein glühender Verfechter des Kapitalismus, dessen Verbreitung es uneingeschränkt zu fördern gelte. Keine andere Wirtschaftsweise entspreche so gut dem “europäischen Drang zu entdecken, zu erschaffen und zu erobern” (S. 11). Seine Kritik wendet sich nur gegen den “unpersönlichen Unternehmens- und Finanzkapitalismus der reicheren Länder” (S. 13), gegen die Ursachen eines “beschleunigten Strukturwandels” infolge der Globalisierung.
Diese neue Form des Kapitalismus ist in den achtziger Jahren im Zuge der Deregulierungen und Privatisierungen entstanden. Bis dahin existierte ein überaus erfolgreicher “gelenkter Kapitalismus”. In den siebziger Jahren zeitigten diese Eingriffe so starke negative Auswirkungen und Bürokratisierungstendenzen, daß sich dieser Trend drehte: die “ungelenkte Gewalt des heutigen Turbo-Kapitalismus” wurde entfesselt. So wie jedes Land seine eigene Version eines gelenkten Kapitalismus hatte, so unterscheidet sich jedes Land auch im Abbau desselben.
Ausgehend von den USA und von Großbritannien breitete sich die “turbo-kapitalistische Revolution” unter der Religion des orthodoxen Monetarismus rasant aus und führte zu radikalen Veränderungen des Lebens. Typische “Merkmale des Turpo-Kapitalismus sind eine höhere Leistungsfähigkeit, eine größere Ungleichheit und ein beschleunigter Strukturwandel” (S. 303). Die sozialen Kosten des Strukturwandels, die man bereits in den beiden Ausgangsstaaten erkennen könne, seien jedoch zu hoch. Die umfangreiche Statistik, die Luttwak anführt, ist deutlich genug: die Volkswirtschaft dient nicht mehr der Gesellschaft, sondern die Gesellschaft der Volkswirtschaft (S. 383). Die Beschleunigung führe zur Zersplitterung der Gesellschaft, in der sich die Zahl der Nachzügler erheblich erhöhe. Neben “Tälern des Fortschritts” entstünden hoffnungslose “Täler der Verzweiflung” (S. 384). Die Angst der Mittelschichten führe zwar nicht zum Faschismus, die neuen Formen des Prohibitionismus stünden dem jedoch nichts nach: es handele sich um einen “demokratisch legitimierten Ersatz für einen Faschismus” (S. 128), der danach trachte, alles zu verbieten, was nur zu verbieten ist.
Wie die Regierungen, deren zentrale Aufgabe es sei, “den Kapitalismus im Interesse ihrer Bürger zu kontrollieren”, derselben nachkommen könnten, läßt Luttwak aber offen. Die Stärke des Buches liegt in der differenzierten Entwicklung wichtiger Fragen, mit denen sich auseinanderzusetzen jede/r politisch Interessierte eingeladen ist.
D. P.
Luttwak, Edward: Turbo-Kapitalismus. Gewinner und Verlierer der Globalisierung. Hamburg (u. a.): Europa-Verl., 1999. 448 S., DM 49,80 / sFr 46,- / öS 364,–