Trend-Report 2010

Ausgabe: 2010 | 1

Wie wir in den vorangegangenen Kapiteln gesehen haben, dreht sich in jüngster Zeit alles darum, was wir aus der Finanzkrise lernen. Und so ist es nicht verwunderlich dass die weltweite Krise auch zentrales Thema im aktuellen Trendreport ist, in dem Matthias Horx darlegt, dass sich die Konturen einer neuen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung abzeichnen. Seiner Ansicht nach wird sich als Folge der Krise im kommenden Jahrzehnt eine sogenannte „Kreative Ökonomie“ herausbilden. „Um den Kapitalismus weiter zu entwickeln, benötigen wir einen neuen Kooperationsmodus zwischen Markt, Individuum, Staat und Zivilgesellschaft, in dem die Rückkoppelungen zwischen den einzelnen ‚Spielern’ besser organisiert sind.“ (S. 11) Zuzustimmen ist auch der Ansicht des Trendforschers, dass die Turbulenzen der Finanzmärkte eine neue Kapitalismus-Debatte provoziert haben. Diese ist aber offenbar schneller zu Ende als die Trendforschung publizieren kann. Mit Blick auf die Banken herrscht dort eindeutig das Prinzip „business as usual“ vor - nicht nur was Risiko, Zockerei und Wahnsinn betrifft, sondern auch was die Reserven für Boni-Zahlungen (wohlgemerkt noch im Krisenjahr 2009) angeht (vgl. Kapitel Finanzkrise in diesem Heft, Nr. 2-13).

 

Und dennoch wird, auch angesichts der Finanzkrise, vieler Firmenpleiten und hoher Arbeitslosenzahlen – übrigens wie schon im Vorjahr (vgl. PZ xy) ‚Parole Zuversicht’ ausgegeben. Der diesmal ins Auge gefasste Zeithorizont wurde aus Anlass der Jahrzehntwende auf 10 Jahre ausgeweitet. Wie immer zeichnet sich der Report dadurch aus, dass bestimmten Phänomenen ein mehr oder weniger griffiger Name gegeben wird. Ob es sich um „Urbanen Eskapismus“ als Bezeichnung für eine neue Synthese von Urbanität und Abenteuerlust oder um den Nonsens-Trend „Private Spaceflight“, der den Boom zu kommerziellem Weltraum-Tourismus beschreibt, oder gar um „Fear Economy“ handelt, die längst unser Leben und unsere Ökonomie tief durchdrungen habe und das Geschehen auf den Märkten diktiere. Das „naming“ scheint einer der Schlüsseltrends der Zukunft zu sein nach dem Motto, ohne Name kein Trend.

 

Als Voraussetzungen für den vor uns liegenden „kreativen Kapitalismus“, der nun im Gefolge der Krise Platz greifen wird, nennt Horx das „Upgrading“ von Servicejobs, also eine Aufwertung vieler schlecht bezahlter und unterbewerteter Arbeiten (Krankenschwester, Altenpfleger), die Einführung von Mindestlöhnen und das Entfachen einer neuer Bildungsdynamik. Die Alternative Nobelpreisträgerin V. Shiva hat in ihrem jüngsten Buch (s. PZ 4/09, Nr. 125) ebenfalls vorgeschlagen, die Arbeit wieder aufzuwerten, und auch Christine Ax (PZ 3/09, Nr. 94) schlägt vor, das Handwerk wieder höher zu bewerten. Der Idee des Trendforschers, das Bruttosozialprodukt durch ein „Neues Kriterium des Gesellschaftlichen Wohlstands“ (vgl. S. 23) abzulösen, ist viel Positives abzugewinnen. In einigen Ländern, so erfahren wir in der vorliegenden Studie, gibt es bereits einen Prozess der Umorientierung des Wohlstandsbegriffs und das Bemühen, einen entsprechenden Index einzuführen. Inzwischen denken sogar konservative Tageszeitungen (Salzburger Nachrichten v. 25.2.2010) über die Ablösung des BIP und Einführung eines „Glücksindex“ nach.

 

Der „Megatrend China“, den Horx in Anlehnung an den Bestseller („Chinas Megatrends. Die 8 Säulen einer neuen Gesellschaft“) des US-amerikanischen Autors John Naisbitt prognostiziert, ist sicher nicht von der Hand zu weisen. Ob sich allerdings, wie er gemeinsam mit Naisbitt behauptet, innerhalb der kommunistischen Partei mehr Pluralität und eine „Aktivierung von Unten“ im Sinne einer „geführten Basis-Demokratie“ entwickelt, darf bezweifelt werden. Es sei daran erinnert, dass sich die Internet-Suchmaschine Google wegen anhaltender bzw. verstärkter Zensurmaßnahmen ganz aus China zurückziehen will. Und auch die Diskussion darüber, ob Barack Obama den Dalai Lama treffen soll und darf (was er inzwischen tat), zeugt nicht gerade von einer Öffnung der chinesischen Politik. Dass auch der Westen „das Modell einer ‚geführten Demokratie‘ entwickeln wird – und zwar nicht im totalitären Sinn, sondern im Sinn visionären Managements und dynamischer Zukunfts-Orientierung“ (Horx, S: 39), wäre wünschenswert, ist allerdings nicht gesichert.

 

 

 

Von Demokratie 3.0 bis Upside Down

 

Neben Demokratie 3.0 haben wir es neuerdings auch mit Digitalität 4.0 und der „Apps World“, also jenen kleinen smarten Programmen für Alltag, Spiel, Hobby und Navigation zu tun, die sich mit Fingertipp installieren und bedienen lassen. „Apps sind wie kleine willfährige Dienstboten, Heinzelmännchen, die uns ein Gefühl von individueller Welt-Kontrolle verleihen.“ (S. 45) So ist es bereits möglich, durch das Aneinanderhalten von zwei iPhones Visitenkarte zu übertragen und ins Adressregister einzufügen. Ob derlei Dinge aber notwendig und sinnvoll sind, steht auf einem anderen Blatt.

 

Dass uns der Sprung von der Zentralität zur Dezentralität in der Energiefrage gelingt, ist für die Trendforschung längst ausgemachte Sache. Nicht zuletzt entsteht auf diese Weise ein „Super-Boom, der die Konjunktur als Ganzes beflügeln und viele Technologien zu neuen Innovationen zusammenführen kann“ (S. 71). Ein weiterer Trend richtet sich gegen das Bedürfnis nach Weltrettung. Dabei handelt es sich um politische Unkorrektheit als Spaßprinzip gegen den Meta-Konsens. „Upside Down“ heißt dieser Trend der kleinen Provokationen, von Bad Taste Parties bis zu plattgefahrenen Kuscheltieren.

 

All diese Trends werden in gewohnter Weise leicht lesbar aufbereitet, mit Hinguckern versehen, mit farbigem Grafik-Firlefanz verpackt und geschmacklich fein abgestimmt. Man merkt dem Produkt durchaus an, dass als Käuferschicht das gehobene Management und Entscheider anvisiert werden. A. A.

 

Trend-Report 2010. Soziokulturelle Schlüsseltrends für die Märkte von morgen. Hrsg. v. Matthias Horx. Kelkheim: Zukunftsinstitut, 2009. 124 S., € 125,-

 

ISBN 978-3-938284-49-0