Suffizienz – Die Konsumgesellschaft in der ökologischen Krise

Ausgabe: 2013 | 2

Im Vorwort der Herausgeber steht zu lesen, dass es sich bei den Wuppertaler Schriften um „herausragende wissenschaftliche Qualifikationsarbeiten der Nachhaltigkeitsforschung“ handelt. In der Tat: der vorliegende Band, es ist die Dissertation des Autors, setzt beide Adjektive prototypisch um. Die Tatsache, dass es sich um eine wissenschaftliche Arbeit handelt (alleine das Literaturverzeichnis von mehr als dreißig Seiten und die – soweit ersichtlich – überaus korrekte Zitation geben davon Zeugnis), macht allerdings auch das Lesen zu durchaus anspruchsvoller geistiger Arbeit. Der Inhalt und der (Er-)Kenntnisgewinn lohnen die Mühe aber allemal.

 

In neun Hauptabschnitten spannt der Autor einen Bogen, der weit über eine Analyse der ökologischen Problemlage – die ja mittlerweile hinreichend dargestellt wurde – hinausgeht. Zur Lokalisierung des Problems fasst Oliver Stengel lapidar zusammen: „Die Umweltkrise ist eine Krise der zu schnellen Ressourcenentnahme und der zu schnellen Emission klimawirksamer Gase und diverser toxischer Substanzen“. Und legt gleich, sozusagen eine Schicht tiefer, nach: „Die Menschheit kann sich gegenwärtig an die von ihr selbst ausgehenden ökologischen Veränderungen nicht anpassen“ (beide Zitate S. 71). Stengel identifiziert fünf Hauptursachen dafür, die sowohl mit Produktion und Konsum, aber auch mit der (Nicht-) Reaktion politischer Systeme verbunden sind.

 

Neben der bloßen Problembeschreibung werden – und hier ist der Autor offensichtlich in seinem Element – psychologische, kulturelle und soziale Faktoren identifiziert, die dazu geführt haben und (weiter) führen, dass die Lebensgrundlagen der künftigen Generationen (ja, der Menschheit an sich, wie der Autor mit gut fundierten Daten keinen Zweifel lässt) akut gefährdet sind.

 

 

 

Therapievorschläge

 

Als „Therapien“ werden Effizienz, Konsistenz (d. h., dass Produkte so gestaltet sind, dass sie nach Gebrauch wieder als biologischer oder technischer Rohstoff dienen können) und, da diese beiden Strategien offensichtlich nicht (alleine) ausreichen, die Suffizienz angeboten. Die Suffizienzstrategie „zielt darauf, dass Menschen ihr Verhalten ohne Zwang verändern und Praktiken, die Ressourcen übermäßig verbrauchen, einschränken oder ersetzen“ (S.140). Dass dem nicht so einfach ist, legt der Autor im Abschnitt sieben, betitelt „Suffizienzbarrieren“ eindringlich klar. Es wird deutlich, dass sehr tief liegende (und damit schwer überwindbare) psychologische und kulturelle Faktoren dafür ausschlaggebend sind, dass Suffizienz derzeit (und wohl auch, so lässt der Autor immer wieder durchblicken und trifft dabei durchaus auch die Einschätzung des Rezensenten: noch längere Zeit) ein absolutes Minderheitenprogramm bleiben wird. Dies auch, weil derzeit sowohl für die Repräsentanten der politischen Systeme als auch für handelnde Individuen aufgrund des gesellschaftlichen Werterahmens der Anreiz fehlt, ihr Verhalten in diese Richtung zu ändern. Stengel verknüpft in dieser Analyse spannend moralische Entwicklungsmodelle mit mathematischer Spieltheorie (unter Verwendung einer Erweiterung des bekannten Gefangenendilemmas). Er kommt zum Schluss: „Damit eine suffiziente Lebensweise nicht als kostenlastig empfunden wird, müsste sich also ihre kulturelle Bewertung und damit die Topografie der moralischen Landkarte wandeln“ (S. 296).

 

Die LeserInnen werden aber nicht mit diesem Befund alleine gelassen, der einen in Erinnerung der Analyse der ökologischen Situation noch hoffnungsloser stimmen könnte, sondern es gibt einen kleinen Strohhalm der Hoffnung: die Möglichkeit des kulturellen Wandels, des „Deutungswandels“, der sich in ein oder zwei Dekaden vollziehen könnte (S.305). Anhand der Arbeiten von Hunter wird gezeigt (und mit interessanten Beispielen untermalt), dass Deutungstransformationen von drei interagierenden (freilich auch manchmal verschwimmenden) Akteursgruppen ausgehen: der Entscheidungselite (v. a. PolitikerInnen), der Deutungselite (Wissenschaft, Kulturschaffende, „öffentliche Personen“ etc.) und der Vermittlungselite (i. W. (Qualitäts-)Medien). Die Voraussetzung für einen (raschen) Deutungswandel ist freilich, dass die drei Bedingungen Persistenz, Konsonanz und Fokussierung erfüllt sind. Vor allem die Konsonanz der Deutungselite scheint von zentraler Bedeutung, wie das Beispiel der Wahrnehmung des Klimawandels zeigt: über lange Zeit gelang es diversen Lobbys, den Eindruck hervorzurufen, als sei der Klimawandel in der Wissenschaft umstritten. Dadurch konnten die Vermittlungseliten keine klaren Botschaften weitergeben, weswegen die Entscheidungseliten keinen Anlass zum Handeln sahen. Gleichwohl geben die Überlegungen dieses Abschnittes durchaus praktikable Hinweise, wie man auf dem Weg in eine nachhaltigere Gesellschaft weiter kommen kann und zeigen einige Irrwege auf, die man vermeiden kann. Ob dieser Weg in der geforderten Zeit beschritten werden kann, bleibt aber sehr fraglich.

 

Als Fazit bleibt anzumerken, dass die Lektüre dieses Buches, obgleich anspruchsvoll und langwierig, mehr als lohnend ist. G. S.

 

 

 

 Stengel, Oliver: Suffizienz – Die Konsumgesellschaft in der ökologischen Krise. München: ökom, 2011. 394 S. (Wuppertaler Schriften zur Forschung für eine nachhaltige Entwicklung ; 1) € 39,95 [D], 41,20 [A],

 

sFr 69,90 ; ISBN 978-3-86581-280-3