Städtebauliche und ökologische Qualitäten autofreier und autoarmer Stadtquartiere

Ausgabe: 2001 | 4

In allen Umfragen zu Störquellen des persönlichen Wohlbefindens im Bereich urbanen Wohnens wird der Autolärm als Hauptproblem genannt. Eine nachhaltige Stadtentwicklung kann daher sinnvoll nur dann geschehen, wenn eine den Autoverkehr reduzierende Verkehrsplanung mitgedacht wird. Stadtverkehr, Städtebau und Ökologie mit einer Renaissance des Städtischen  zu ver-knüpfen, finden ihre radikalste Konsequenz im Konzept autofreier Stadtquartiere . 26 solcher Projekte in Europa werden in der vorliegenden Studie angeführt, sechs davon in Fallbeispielen genauer analysiert.

Trotz des Schei-terns anfänglicher Initiativen sind die Autoren überzeugt, dass in den letzten zehn Jahren für bestimmte Gruppen der Bevölkerung die Zeit offensichtlich reif dafür geworden sei, „ein Leben ohne eigenes Auto als individuell, gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch sinnvoll anzuerkennen“ (S. 9). Im Forschungsprojekt wurden unterschiedliche Grade der Autoreduzierung festgestellt. In  autofreien Wohnsiedlungen im strengen Sinn verpflichten sich die BewohnerInnen beim Erwerb oder Anmieten der Wohnung, auf den Besitz eines eigenen Autos zu verzichten. Damit verbunden ist die Reduzierung der Stellplätze auf einen Bruchteil der sonst üblichen Parkflächen. Beispiele hierfür sind das Großstadtquartier Terrain in Amsterdam mit 600 Wohneinheiten, das 1998 fertiggestellt wurde sowie das Projekt Saarlandstraße in Hamburg (Fertigstellung bis 2005). Auch das Wohnvorhaben Floridsdorf in Wien ist dieser Kategorie zuzuzählen. In autoarmen  Wohnquartieren gibt es keine formale Verpflichtung zum Verzicht auf ein eigens Auto, jedoch werden Anreize hierfür geschaffen. Wer ein Auto besitzt, muss einen Stellplatz nachweisen und dafür die Kosten aufbringen, wer kein Auto besitzt, spart diese Kosten. Beispiele hierfür sind größere Wohnprojekte, die einen ganzen Stadtteil umfassen (Tübingen, Freiburg).

Die vorgestellten Beispiel zeigen, dass mit Innovationen ein Leben ohne eigenes Auto durchaus machbar ist. So ist in Hamburg in den Mietkosten eine Jahreskarte für die öffentlichen Verkehrsmittel integriert. Jeder Bewohner mit Führerschein erhält außerdem mittels Chipkarte Zugang zum hauseigenen Fuhrpark und kann die unterschiedlichen Fahrzeuge - vom Elektromobil bis zum Transporter auf Stundenbasis mieten. Fast alle Projekte arbeiten mit Carsharing-Unternehmen zusammen. Entsprechende Stellplätze am Rande der Siedlung erleichtern die Nutzung eines Autos für diejenigen Ziele, für die andere Verkehrsmittel keine geeigneten Angebote bereit-stellen. Integrierte Geschäfte ermöglichen eine „Versorgung der kurzen Wege“. Die durch das Wegfallen der Parkplätze gewonnenen Freiflächen werden häufig gemeinschaftlich genutzt. In Wien Floridsdorf entstanden ein Internetcafe, eine Fahrradwerkstatt, ein Tageselterncenter und ein Waschsalon. Das ebenfalls in Wien beheimatete Projekt Sargfabrik mit 73 Wohneinheiten, das aus einer Gemeinschaftsinitiative heraus entstanden ist, verfügt gar über ein elegantes Badehaus mit einem darüber gelegenen Seerosenteich. Das 1996 fertiggestellte Vorhaben wurde übrigens nur genehmigt, weil es als Wohnheim definiert und so die Stellplatzverordnung umgangen wurde.Dass auch bereits bestehende Siedlungen autofrei gemacht werden können, beweisen die vorgestellten Beispiele aus Nürnberg, wo eine Satellitenstadt aus den 70er Jahre durch die Verbannung der Autos aus dem Wohnbereich attraktiver wurde, und Wittenberg. Hier wurde die Ästhetik und Atmosphäre einer Gartenstadt aus den 20er Jahren durch die Autofreiheit wieder hergestellt.

Der Band, der auch Probleme und Herausforderungen nicht verschweigt, ist allen, die mit Stadtplanung zutun haben, zu empfehlen. H. H.

Bei Amazon kaufenChrist, Wolfgang; Loose, Willi: Städtebauliche und ökologische Qualitäten autofreier und autoarmer Stadtquartiere. Bauhaus Universität Weimar, Öko-Institut, Freiburg: Eigenverlag, 2001. 110 S., € 27,56 / DM 53,90 (Zu bestellen bei: Öko-Institut Freiburg PF 6226, D-79038 Freiburg, www.oeko.de)