The Spirit Illusion

Ausgabe: 2010 | 3

Richard Wilkinson und Kate Pickett haben mit ihrem Buch „Gleichheit ist Glück“ (auf Englisch („The spirit level“) eine breite Diskussion ausgelöst. Sie haben in dem Buch versucht nachzuweisen, dass Gesellschaften, in denen Reichtum gleichmäßiger verteilt ist, bessere Ergebnisse für die Bürgerinnen und Bürger mit sich bringen. Walter Spielmann hat das Buch in Pro Zukunft 2/2010 (S. 17-18) rezensiert. Spielmann bezeichnete die Arbeit als „höchst aktuell und hoffentlich zukunftsweisend.“

 

Stimmt die Grundthese des Buches, so hätte dies erhebliche Auswirkungen, wie wir über Gesellschaft, Politik und Wirtschaft denken sollten. Wollen wir die Steigerung der Lebenserwartung, die Reduzierung der Kindersterblichkeit und der Zahl der psychischen Erkrankungen, weniger Fettleibigkeit, bessere schulische Leistungen und einen geringeren Bedarf an Gefängnissen? Dann müssen wir mehr finanzielle Gleichheit in der Gesellschaft verwirklichen.

 

Die Radikalität des Arguments und die breite Rezeption des Buches haben dazu geführt, dass binnen kurzer Zeit neue Publikationen erschienen, die sich mit den Thesen Wilkinsons und Picketts beschäftigen. Die wichtigsten davon sind „The Spirit Illusion: A critical analysis of how ´The Spirit Level´ compares countries“ von Nima Sanandaji, Arvid Malm und Tino Sanandaji, „The Spirit Level Delusion; Fact Checking the Left´s New Theory of Everything“ von Christopher Snowdon und „Beware false Prophets“ von Peter Saunders.

 

„The Spirit Illusion“ ist die Arbeit von drei schwedischen Forschern aus der Forschungseinrichtung Captus. In dem Text wird versucht, die statistischen Grundlagen für die Argumente von Wilkinson und Pickett in Frage zu stellen. Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass Wilkinson und Pickett beim Nachweis des Zusammenhangs zwischen Ungleichheit und niedriger Lebenserwartung lediglich diejenigen Staaten in ihr statistisches Sample aufgenommen hätten, die mit ihren Werten genau die These des Buches unterstützen. Staaten, anhand derer Daten man das Gegenteil zeigen könne, seien unter den Tisch gefallen. Auch das Niveau der Gesundheit korreliere nicht mit der Ungleichheit in der Gesellschaft. Lediglich der Zusammenhang zwischen Ungleichheit und Kindersterblichkeit sei von ihnen bei eigenen Korrelationen zu bestätigen gewesen, alle anderen Zusammenhänge seien zu verwerfen.

 

Was ist von der Kritik des schwedischen Trios zu halten? Zum einen ist ihre Argumentation auf nachvollziehbaren Daten aufgebaut. Die Daten der Briten Wilkinson/Pickett sind ebenfalls nachvollziehbar. Der wichtigste Unterschied ist, dass die Schweden Staaten der Welt vergleichen, während die Briten Regionen in einzelnen Staaten vergleichen. An anderer Stelle wiederholen Wilkinson/Pickett ihre Argument anhand von Daten russischer Regionen, chinesischer Provinzen und chilenischer Landesteile.

 

Welche Schlussfolgerung legt uns dieser Abtausch nahe: Es scheint niemand zu argumentieren, dass Ungleichheit günstig ist für ein langes Leben. Das Argument, dass Gleichheit günstig ist, scheint nur innerhalb vergleichsweise homogener Gesellschaften nachweisbar zu sein. Vergleicht man die Staaten der Welt, wird dieser Nachweis weniger sichtbar. Eine These könnte sein, dass dann andere kulturelle Faktoren die Gleichheit überlagern. Und eines wird in der Kontroverse noch deutlicher: Die Ungleichheit im Jahre 2010 hat wahrscheinlich weniger Einfluss auf die heutige Lebenserwartung als die Ungleichheit zum Zeitpunkt der Kindheit der heute älteren Generation. Ein Zusammenhang muss daher langfristige Trends in der Ungleichheit berücksichtigen.

 

Kritik des „Spirit Level“

 

In „Beware false Prophets“ kritisiert Peter Saunders den „Spirit Level“ und seine Thesen. Auch er konzentriert sich auf die statistischen Beweise, die Wilkinson/Pickett in ihren Buch vorbringen: „Very little of Wilkinson and Pickett´s statistical evidence actually stands up, and their argument is full of holes.“ (p. 6)

 

Sehen wir uns auch Saunders Argument anhand eines Themas an (p. 30f.): Dem Zusammenhang zwischen Ungleichheit und hohen Mordraten. Saunders verwendet zunächst die Daten aus dem Buch von Wilkinson und Pickett und bestätigt vorerst den signifikanten Zusammenhang zwischen den beiden Erscheinungen. Dann zeigt er aber, dass der Zusammenhang vor allem auf den Ländern USA und Portugal beruhe, während in vielen anderen Staaten hohe Ungleichheit nicht zu hohen Mordraten führe. Im egalitären Finnland gebe es sogar mehr Morde als im von Ungleichheit geprägten Singapur.

 

Saunders findet einen nicht signifikanten Zusammenhang, aber auch hier: Schaut man sich die Menge der Daten an, so wird niemand auf die Idee kommen, dass Ungleichheit günstig für die Senkung von Mordraten wäre. Und schließlich: Es bleiben noch immer die USA und Portugal, die Saunders einfach als „Ausreißer“ aus dem Bild nahm. Eines wird klar – und das sehen auch Wilkinson/Pickett so: Auch beim Zusammenhang zwischen Ungleichheit und Morden wird man sich andere Faktoren ansehen müssen: Zum Beispiel die Anzahl der Handfeuerwaffen, die in einer Gesellschaft in privatem Besitz sind. Diese Anzahl ist übrigens auch in Finnland sehr hoch.

 

Schließlich ist auch Christopher Snowdon kritisch gegenüber Wilkinson/Pickett eingestellt. Sein Vorwurf an die Autorin und den Autor des „Spirit Level“ lautet, dass diese Staaten bei ihrer Beweisführung ignoriert hätten, die den Thesen des Buches widersprochen hätten. Auch hier ein Beispiel. Snowdon hinterfragt den Zusammenhang zwischen Teenager-Schwangerschaften und Ungleichheit. In Gesellschaften mit mehr Gleichheit gebe es weniger Schwangere unter 20 Jahren, hatten Wilkinson und Pickett argumentiert. Portugal wies hohe Ungleichheit und gleichzeitig hohe Schwangerschaftsraten bei diesen Jugendlichen auf. Snowdon kritisiert nun, dass die Information in dem Buch unvollständig sei: Denn die Daten stammen aus dem Jahr 2002, und damals sei in Portugal im Unterschied zu den meisten anderen Staaten die Abtreibung noch unter Strafe gestanden.

 

Während es einerseits stimmt, dass die rechtliche Situation, die auch etwas mit kulturellen Werten in der Gesellschaft zu tun hat, relevant ist, so bleiben trotzdem ausreichend Beispiele, die die These dennoch aufrechterhalten. Wilkinson/Pickett sprechen davon, dass der Zusammenhang sogar noch etwas stärker ausgeprägt wäre, wenn sie Portugal aus ihrem Sample entfernen würden. Interessant übrigens, dass Snowdon in einem späteren, im Internet veröffentlichten, Text festhält, dass Ungleichheit Schwangerschaften bei Jugendlichen begünstige, aber eben nicht die einzige Ursache sei.

 

Es ergibt sich ein Bild aus der Übersicht der kritischen Rezeption des Buches von Richard Wilkinson und Kate Pickett. Zum einen scheint die These aufrechterhaltbar, dass Gesellschaften mit mehr Gleichheit in vielen Bereichen für ihre Bürgerinnen und Bürger bessere Ergebnisse bringen. Zum anderen zeigte diese frühe Phase der Auseinandersetzung mit der Kritik, dass andere Faktoren großen Einfluss haben können: Lebensgewohnheiten für die Alterung, rechtliche Bestimmungen bei Mordraten und gesellschaftliche moralische Auffassungen für Schwangerschaftsraten bei Teenagern. Walter Spielmanns Urteil über das Buch als „höchst aktuell und hoffentlich zukunftsweisend“ wird durch die Diskussion bestätigt. Die Kritik ist lesenswert, weil sie die Sensibilität für die Besonderheiten schärft, die auch eine Gesellschaft mit hoher Gleichheit erfolglos machen könnten. S. W.

 

Sanandaji, Nima; Malm, Arvid; Sanandaji, Tino: The Spirit Illusion: A critical analysis of how ´The Spirit Level´ compares countries. London: Taxpayers Alliance, 2010.

 

Snowdon, Christopher: The Spirit Level Delusion. Fact Checking the Left´s New Theory of Everything. London und Washington: Democracy Institute, 2010.

 

Saunders, Peter: Beware false Prophets. London: Policy Exchange, 2010.