Gleichheit ist Glück

Ausgabe: 2010 | 2

Dass Reiche für gewöhnlich weniger soziale Probleme und eine höhere Lebenserwartung haben als arme Mitbürger ist statistisch belegt und hinlänglich bekannt. Dass finanzielle Ungleichheit jedoch für alle Mitglieder einer Gesellschaft ein Mehr an Problemen bedeutet, ist eine bisher kaum beachtete Erkenntnis. Diese ist nicht zuletzt Richard Wilkinson, Wirtschaftshistoriker am University College London, und der Ernährungswissenschaftlerin und Epidemiologin Kate Pickett von der University York zu verdanken, die im höchst aktuellen und hoffentlich zukunftsweisenden Buch „Gleichheit ist Glück“ den Nachweis erbringen, dass die gerechtere Verteilung von Einkommen durchwegs positive Auswirkungen auf das gesellschaftliche Gesamtgefüge und das Wohlergehen jedes Einzelnen hat.

 

Unter Auswertung einer Vielzahl einschlägiger Daten gelingt dem Autorenduo der Nachweis, dass ein hohes Maß an finanzieller Ungleichheit so gut wie alle Parameter des persönlichen und kollektiven Wohlergehens negativ beeinflusst. Nicht das absolute Niveau des Wohlstands, sondern die Höhe der Einkommensunterschiede wirken sich auf das Ausmaß gesellschaftlichen Vertrauens, auf Lebenserwartung und Säuglingssterblichkeit, die Zahl der psychischen und physischen Erkrankungen (Drogenabhängigkeit), auf Fettleibigkeit, Schwangerschaften und schulische Leistungen, auf den Bedarf an Gefängnissen aus. Diese und andere Ziffern korrelieren mit dem Ausmaß der Einkommensdifferenz, sind also auf das Wohlstandsgefälle innerhalb der Gesellschaften zurückzuführen.

 

In drei Abschnitten legen Wilkinson und Pickett die markanten Folgen dieses Zusammenhangs dar. Sie zeigen einleitend – das ist nicht neu, aber im hier untersuchten Kontext natürlich von Belang –, dass Wohlstandsmehrung keineswegs einen Zuwachs an Glück bedeutet, verweisen auf die Differenz von Armut und  Ungleichheit und zeigen, dass es v. a. in „Wohlstandsgesellschaften viele Opfer sozialer Ungleichheit gibt“: In den USA (diese zählen zu den Ländern mit den stärksten Einkommensdifferenzen) liegt das Mittel bei etwa dem 8-fachen, gemessen an den jeweils 20 Prozent der Reichsten bzw. Ärmsten. Und dennoch gaben zwischen 1952 und 1993 nicht weniger als 52.000 Menschen mit Hochschulabschluss (und vergleichsweise hohen Einkommen) an, dass Stress und Ängste stetig ansteigen. Ungleichheit verstärkt soziale Ängste und erhöht den Druck zu sozialer Selbstdarstellung. (So besitzen etwa 35 Prozent der US-Amerikaner die unter der offiziellen Armutsgrenze leben – das sind 12,6 Prozent – einen Geschirrspüler, einen Computer oder einen Zweitwagen (S. 40). In Japan, dem Land mit der geringsten Einkommensdifferenz (hier liegt der Faktor knapp unter vier) treten die Menschen viel zurückhaltender und auch selbstkritisch auf.

 

In neun Kapiteln skizzieren die beiden Autoren im zweiten Abschnitt die „Kosten der Ungleichheit“. Sie zeigen, „dass die sozialen Beziehungen umso mehr verfallen, je stärker eine Gesellschaft von Ungleichheit geprägt ist“ (S. 67). Während in Schweden 66 Prozent der Befragten der Aussage zustimmen, „dass man den meisten Menschen trauen kann“, sind es in Portugal, das bei der Einkommensdifferenz mit an der Spitze der untersuchten Staaten liegt, nur 10 Pozent. Ungleichheit führt auch zu psychischen Problemen, wobei Menschen mit niederem Bildungsniveau besonders betroffen sind. Insgesamt lässt sich sagen, „dass in Gesellschaften mit mehr Gleichheit die Menschen gesünder sind“, während Ungleichverteilung zu geringerem Geburtengewicht, zu höherer Säuglingssterblichkeit und zu geringerer Lebenserwartung führt. (vgl. S. 100f.). Markant ist ein weiterer Verweis auf die USA: auf sie entfallen nicht weniger als „40 bis 50 Prozent der weltweiten Ausgaben für Gesundheit, obwohl die US Amerikaner 5 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen“ (S. 99). Dass mit der Ungleichheit auch „die Pfunde wachsen“, der Zusammenhang von Einkommen und Fettleibigkeit sich verallgemeinernd mit dem Befund „reich und schlank, arm und dick“ zusammenfassen lässt, und vor allem Mädchen aus sozial benachteiligten Schichten (viel zu) früh schwanger werden, sind einige weitere der akribisch ausgeleuchteten und überzeugend dargestellten Zusammenhänge.

 

 

 

Eine gerechte Welt ist möglich

 

Um eine gerechtere Gesellschaft zu verwirklichen plädieren Wilkinson/Pickett für mehr Gleichheit die entweder durch mehr Umverteilung oder geringere Einkommensunterschiede zu realisieren sei. Sie fordern mehr Mut von der Politik ein und verweisen auf die positiven Effekte, die flachere Einkommenskurven auf den Ressourcenverbrauch haben. Unmissverständlich stellen sie fest: „Die Regierungen können es sich nicht leisten, in Sachen Einkommensunterschiede nichts zu unternehmen. Sie sind in den meisten Ländern nicht nur der größte Arbeitgeber, sondern in nahezu jedem Bereich beeinflussen Wirtschafts- und Sozialpolitik die Verteilung der Einkommen…“ (S. 303). Es gehe darum, eine gleichermaßen „realistische wie begeisternde Vision einer besseren Gesellschaft zu entwickeln, (…), in der wir die Eigentümer unserer Arbeit sind, diese in einer Gemeinschaft der Kollegen demokratisch steuern und die Vorteile eines wachsenden nicht-monetären Wirtschaftssektors gemeinsam genießen können.“ Das Wissen darum, dass mehr Gleichheit der Schlüssel zur Lösung fast aller Probleme darstellt, sei Anlass, nach Jahren des Zweifels hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken (Doch eines sei klar: „An unserer Generation wird es liegen, einen historischen Wandel anzustoßen, wie ihn die Geschichte bisher nicht kannte.“ (S. 304) W. Sp.

 

Wilkinson, Richard; Pickett, Kate: Gleichheit ist Glück. Warum gerechtere Gesellschaften für alle besser sind. Berlin: Tolkemitt-Verl., 2009. 333 S., € 19,90 [D], 20,50 [A], sFr 34,80; ISBN 978-3-942048-09-5