Glück

Ausgabe: 2007 | 3

Der Titel dieses schmalen, doch gleichermaßen gehaltvollen wie inspirierenden Bändchens erinnert an Dietrich Schwanitz' populäre Bildungsanthologien im Instant-Format und bietet doch ganz andere Kost.

 

Gewiss, auch Wilhelm Schmid greift eingangs die derzeit geradezu monströs sich auftürmende Welle publizistischer Annäherungen an das Thema Glück auf, um dem Leser „eine kleine Atempause inmitten der Glückshysterie, die um sich greift“, anzuempfehlen. Dass es dabei im Allgemeinen um das Glück nicht gut stehe, ist ein erster Befund, den Schmid im weiteren Verlauf seiner Überlegungen zum einen bestätigt, zum anderen aber auch relativiert. Denn Glück, so seine zentrale These, ist bei weitem nicht so wichtig, wie allgemein angenommen.

 

Doch der Reihe nach: Die Frage, was denn Glück sei, hätte die Philosophie trotz vieler Versuche, verbindlich nie beantwortet, argumentiert der Autor, einerseits weil es für jeden etwas Anderes bedeute, andererseits weil es zu vielschichtig und widersprüchlich sei, um klar definierbar zu sein. Anstatt von Glück von verschiedenen Formen des Glücks, von „Glücken“ zu sprechen, sei da schon zielführender, argumentiert der Philosoph, um im Folgenden vier Formen des selben zu unterscheiden: das Zufallsglück (des Lottogewinns) sei seinem Wesen nach unverfügbar, zu erreichen daher nur durch eine Haltung der Offenheit und Geduld; nach Wohlfühlglück (engl: ‚happiness’, und nicht ‚luck’) zu streben, sei sinnvoll und jedem Menschen gegeben, auch wenn es - allen Verheißungen der Spaßgesellschaft trotzend - nicht permanent zu haben sei. Im Gegenteil: Während es auf Dauer und in Fülle genossen, schal werde, sei es durch Übung der Askese, nach dem Erleben von Kontrasterfahrung (z. B. Schmerz) gesteigert und mannigfach erfahrbar; das Glück der Fülle entwachse folgerichtig einer Lebenshaltung, die Gegensätze als Bereicherung erkennt und, „sich eingebettet weiß in einen größeren Zusammenhang, in dem das Eine wie das Andere Platz hat“(S. 30). Dass in ihm selbst das Glück des Unglücklichseins seinen Platz hat, zeigt Schmid anhand der Melancholie, einer Lebensphilosophie, „die das Traurigsein nicht ausschließt“ (S. 42).

 

Dass also nicht „Glück“, sondern vielmehr „Sinn“ die zentrale Kategorie [und keineswegs nur das Ziel, W. Sp.] eines erfüllten Lebens darstellt, rückt der Autor - vortrefflich argumentierend - ins Zentrum seiner weiteren Überlegungen. Durch unsere Sinne, so Schmid, hätten wir Zugang zur Welt, dass etwas „Sinn mache“, bedeute vor allem, dass wir Zusammenhänge herstellen können, sinnlos hingegen erscheine alles, was ohne Zusammenhang ist (oder zu sein scheint). Man wird dem Autor vielleicht nicht vorbehaltlos folgen wollen, wenn er den „Verfall der Sinne in der technischen Welt“, „das Schwinden des Zusammenhangs von Selbst und Welt“ beklagt (S. 50). Auch wäre zu hinterfragen, ob sich „für den, der mit allen Sinnen wahrnimmt, die Frage nach ‚dem Sinn’ sich nicht mehr stellt“ (S. 51) [denn nicht auszuschließen scheint mir, dass es sich diesbezüglich geradezu umgekehrt verhält, W. Sp.]. Gerne aber folge ich Wilhelm Schmid, wenn er über Freundschaft, Geselligkeit oder Arbeit als „Sinn, der in tiefster Seele zu fühlen ist“, über Lernen und Erkennen als „Sinn, der im Geiste zu denken ist“, und über das Transzendente als „Sinn der über sich hinaus zu denken und zu fühlen ist“, nachzudenken einlädt.

 

Damit plädiert der Autor freilich nicht für die Fortsetzung des vielfach als sinnlos empfundenen Lebens in der (Post)Moderne. In ihr habe sich das Individuum von sinnstiftenden Zusammenhängen nach und nach gelöst, um an deren Stelle „innere Leere und äußere Kälte“ zu erfahren und zu beklagen. Um sinnvermittelnd gegenzusteuern, würden Ideen, Utopien und Visionen, wie die vom Verfasser abschließend skizzierte, gute Dienste leisten: An die Stelle der ‚Befreiung von’, die in der Jagd nach materiellen Gütern pervertiert se, werde in der sich anbahnenden anderen Moderne eine Haltung der ‚Freiheit für’ treten, in der „Fragen nach selbst gewählten Bindungen der Individuen an sich, an Andere, an die Natur, an eine Religion“ im Mittelpunkt stehen (S. 79). Nicht zuletzt der gesellschaftlichen Bindung der Ökonomie an einen Zweck, vor allem dem der Bewahrung ökologischer Zusammenhänge, werde eine besondere Rolle zukommen. Schließlich sei davon auszugehen, dass in Zeiten der anderen Moderne „sich auch die Fluten des Diskurses über das Glück wieder zurückgezogen haben und für eine historische Weile dem Blick entschwunden sein werden“ (S. 80). Wer sich die Freiheit nimmt, diesen Titel nicht zu lesen, ist schlecht beraten! W. Sp.

 

Schmid, Wilhelm: Glück. Alles, was Sie darüber wissen müssen, und warum es nicht das Wichtigste im Leben ist. Frankfurt/M.: Insel-Verl., 2007. 80 S., € 7,00 [D], 7,20 [A], sFr 12,25

 

ISBN 978-3-458-17373-1