Martin Schallbruch

Schwacher Staat im Netz

Online Special
Schwacher Staat im Netz

Der Prozess der Digitalisierung tangiert mittlerweile fast alle privaten sowie öffentlichen Bereiche unseres Lebens. Nicht zufällig ist dieses Thema nahezu allgegenwärtig. Die Frage, welche Auswirkungen die Digitalisierung in naher oder auch ferner Zukunft haben wird, wird nicht nur intensiv, sondern auch mit sehr unterschiedlichen Schlussfolgerungen diskutiert. Während die einen Digitalisierung als einen notwendigen sowie unaufhaltsamen Prozess betrachten, dem sich Individuen und Gesellschaft anpassen müssen, versuchen andere, Digitalisierung in „progressiver“ Weise zu denken, etwa als ein Mittel zur gesellschaftlichen Gestaltung. Neben diesen eher grundlegenden Deutungen gibt es eine große Zahl an Publikationen, die das Thema aus eine eher pragmatischen Perspektive betrachten. Hierzu ist auch das Buch „Schwacher Saat im Netz“ von Martin Schallbruch zu zählen. Für ihn ist es vorwiegend der Staat als gesellschaftsgestaltende Instanz, der durch den Prozess der Digitalisierung in Bedrängnis gerät, häufig aufgrund von Überforderung.

Schallbruch nimmt in seiner Analyse vor allem die staatlich Netzpolitik und ihr bisheriges Versagen in den Blick. Dabei skizziert er detailreich eine Vielzahl von Problemen und gegenwärtigen Debatten rund um die Themen Datenschutz, Urheberrecht, digitale Infrastruktur sowie den Umgang mit unüberschaubaren Datenmengen. Diese Aspekte sind aber nicht nur mit praktischen Schwierigkeiten, sondern auch mit ethischen Herausforderungen verbunden. So geht es – um nur ein Beispiel zu nennen – bei der Bekämpfung von Cyberkriminalität oder Terrorismus nicht ausschließlich darum, wie Daten von potenziellen „Staatsfeinden“ gesammelt werden, sondern auch um die Frage, welche Methoden der Informationsbeschaffung nach Maßgabe des jeweiligen (Verfassungs-)Rechts legitim, verhältnismäßig und ethisch vertretbar sind. So sorgte etwa der Einsatz von „Bundestrojanern“, einer Software die Daten von Computern verdächtiger Personen verdeckt auslesen und den Behörden übermitteln kann, in Deutschland für Aufsehen. Aber nicht nur dort; auch die österreichische Regierung gedenkt, in naher Zukunft solche Instrumente einzusetzen. Bisher war der Einsatz der Trojaner mit zahlreichen Pannen und mit der Überschreitung rechtlicher Befugnisse durch den Staat verbunden. Dies führte auch zu Misstrauen gegenüber der Verwendung digitaler Technologien durch den Staat.

Datenschutz überfordert den Staat

Die Überforderung des Staates in Sachen Datenschutz kann auch anhand einer einfachen Überweisung über eine „Handy-Finanz-App“ verdeutlicht werden. Bei einer solchen Transaktion sind stets mehrere national und international agierende Unternehmen, – die betreffende Bank, der Anbieter des Apps und des verwendeten Browsers sowie des Internetzugangs – beteiligt. Je nach Verarbeitungsschritt sind außerdem verschiedene Gesetze betroffen (Datenschutz, Telekommunikation, Bankgesetzte etc.). Hier sind Intransparenz und Verantwortungsdiffusion vorprogrammiert. Aber nicht nur die Fragen, wer an welcher Stelle der Transaktion, in welchem Umfang und in welcher Form sowie unter welchen Bedingungen Daten sammeln und verarbeiten darf, sorgt für Verwirrung; auch die gesetzlichen Regelungen selbst tragen in der Regel nicht zur Klarheit bei. In Deutschland ist dies einem Wildwuchs an Gesetzen geschuldet. Diese sind – so Schallbruch – aufgrund ihrer „Kleinteiligkeit“ nur schwer anwendbar. Gleichzeitig wiegt die Zusicherung eines umfassenden Datenschutzes „die Menschen in Sicherheit und verleitet sie geradezu, mit ihren Daten […] sorglos umzugehen“ (S. 64)

Welche Möglichkeiten gibt es, um den angesprochenen Problemen Herr zu werden? Schallbruch schlägt ein ganzes Bündel an Maßnahmen vor. Dabei sind v. a. folgende Prinzipien zu beachten: „Nachvollziehbarkeit herstellen, Versorgungsauftrag definieren, Souveränität bewahren“ (S. 220). Das erste Prinzip verweist auf die staatliche Pflicht, Transparenz und Rechtssicherheit in Bezug auf den Datenschutz herzustellen. Hierfür kommt man um eine Novellierung und Vereinfachung der gesetzlichen Grundlagen nicht herum. Es sei zudem zu klären, welche Leistungen, z. B. in Form von digitaler Infrastruktur, der Staat zur Verfügung stellen sollte, und welche besser in private Hände zu übergeben sind. In diesem Zusammenhang schlägt der Autor  u. a. die Schaffung digitaler Gemeinschaftsgüter vor. Der letzte Aspekt betrifft insbesondere die Souveränität des Staates: diese vor allem gilt es, so Schallbruch, zu wahren; denn sie ist Voraussetzung dafür, um etwa digitale Spionage abzuwehren. Hierfür erscheint dem Autor die Einführung eines Internet- oder Digitalministeriums zentral.