Paulo Freire. Bilanz einer Konzeption

Ausgabe: 1990 | 4

Kaum ein Name ist in der internationalen Diskussion um neue Ansätze in der Erwachsenenbildung und allgemeinen Pädagogik seit den 60er Jahren so präsent wie der Freires. "Die Pädagogik der Befreiung" ist in einschlägigen deutschen Publikationen genauso selbstverständliche Referenz wie in südafrikanischen Bürgerrechtsbewegungen gegen das Apartheid-Regime. Riemann nähert sich dem brasilianischen Pädagogen nicht mit monographischem Interesse, sondern unter dem Aspekt, welche Stellung die brasilianischen Intellektuellen in und zu der gesellschaftlichen Realität ihres Landes einnehmen. Praxis und Theorie des Freireschen Ansatzes stehen zwar im Mittelpunkt, aber (nur) als ein Moment einer Entwicklung, welche die koloniale Vergangenheit des "höchstvorschuldeten Landes der Dritten Welt" genauso in den Blick zu rücken versucht wie seine nähere und fernere Zukunft. Die Bilanz ist zwiespältig. Einerseits haben die Intellektuellen Brasiliens ihre ursprüngliche elitär-marginale Distanzposition zur Armutsbevölkerung aufgegeben. Andererseits sind sie auf allen Gebieten von "organisch aus der Auseinandersetzung mit der eigenen Wirklichkeit gewachsene(n) ... Theorien" noch weit entfernt, worin "sich ein Rest geistiger Kolonisation wider(spiegelt)". Für beides steht Freire beispielhaft. Riemann wirft nicht wenige Fragen auf, die auch außerhalb des brasilianischen Kontextes bedeutsam sind. Was das Formal-Sprachliche anlangt, hätte dem Buch eine sorgfältigere Lektorierung gutgetan; Schludrigkeit solchen Ausmaßes liegt hart an der Grenze zum Unzumutbaren. 

Margot Riemann Costa e Silva, Margot: Paulo Freire. Bilanz einer Konzeption. Frankfurt: Verlag für Interkulturelle Kommunikation, 1990. 136 S. (Wissenschaft und Forschung; 11) DM 26,- / sFr 22,- / öS 202,80