Partizipativ planen – Raum entwickeln

Ausgabe: 2011 | 3

Viele gute Gründe werden für stärkere BürgerInnenbeteiligung gerade in der Raumplanung und Ortsentwicklung vorgebracht: mehr Transparenz, frühzeitige Einbindung der Betroffenen, gemeinsames Lernen, Schaffung von Identität mit der Region bzw. dem Ort. In einem Band des Forum Raumplanung werden diese Vorzüge von Partizipation, aber auch die Schwierigkeiten und Spannungsfelder beleuchtet. Zwei idealtypische Grundhaltungen hinsichtlich Raumplanung macht Sybilla Zech von der TU Wien in der Einleitung aus: „das ´Raum planen´ als Ergebnis fachlicher Arbeit einerseits und die Beteiligung von AkteurInnen durch die Raumplanung zum `Raum entwickeln´ andererseits“ (S. 7). Letzteres habe erst in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen und erfordere ein neues Planungsverständnis, so die Expertin. Ihm sind die Beiträge des Buches gewidmet, zu Wort kommt dabei die sozialwissenschaftliche sowie planungstheoretische Sichtweise ebenso wie der reflektierende Blick auf die Praxis von ModeratorInnen partizipativer Prozesse.

 

Rita Trattnigg vom Österreichischen Lebensministerium gibt einführend eine Übersicht über Formen der BürgerInnenbeteiligung sowie deren Gelingensfaktoren. Dazu zählt sie u. a. ein „aktives Erwartungsmanagement“, da Beteiligungsprozesse eben nicht bedeuteten, dass alle Vorstellungen 1:1 umgesetzt werden könnten: Eine Beteiligungskultur erfordere aber auch „eine andere Politik- und Verwaltungskultur“ (S. 16): „Die `Sollwerte´ einer Gesellschaft können nicht mehr ausschließlich Top-down festgelegt werden, weil solche Modelle unweigerlich an differenzierten Gesellschaften vorbeigehen.“ (S. 17) Notwendig sei vielmehr eine Diskussion darüber, wie die Zivilgesellschaft sinnvoll eingebunden werden kann, ohne dieser alle Aufgaben des Staates aufzubürden. Auf lange Sicht würden Beteiligungsprozesse aber in jedem Fall das politische System stärken. Nicht zuletzt hebt die Autorin die „Lebensqualitätsrelevanz“ von Partizi- pation hervor und nennt als Faktoren: „das Gefühl, auf Zukunftsprozesse Einfluss nehmen zu können, das Sich-Wiederfinden in den getroffenen Entscheidungen und mehr Orientierung durch gemeinsame Entwicklung von Zukunftsbildern“ (S. 21).

 

 

 

Reflektierte Praxis

 

Weitere Beiträge wenden sich der Praxis zu. „Rechne mit dem Unvorhergesehenen“, empfiehlt etwa Reinhard Tötschinger, der vor Blockaden in festgefahrenen Konfliktsituationen warnt. Konventionelle Mechanismen wie Pläne, standardisierte Betriebsverfahren oder Projekthandbücher würden zwar vor Unsicherheit schützen, vielfach aber an den Menschen vorbei gehen. Notwendig sei häufig ein „Defreezing“ der Beteiligten, ehe weitergearbeitet werden kann. Entscheidbare von unentscheidbaren Fragen zu trennen, helfe Uneindeutigkeiten auszuhalten. Die Notwendigkeit des Zulassens vieler Sichtweisen und die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel schildert der Autor am Projekt „Vision Reinthal“, in dem BürgerInnen eingeladen waren, Zuvorstellungen einzubringen.

 

Andrea Binder-Zehetner sowie Herbert Bork beschreiben ihre Erfahrungen mit Lokale Agenda 21-Prozessen in Wiener Stadtbezirken. Beide berichten von wertvollen Lernprozessen, den Chancen für BürgerInnen, ihr Lebensumfeld mitgestalten zu können, aber auch von Spannungsfeldern. Binder-Zehetner nennt dabei etwa die Gefahr der Überforderung der BürgerInnen oder jene des Aufbaus von „Parallel-Universen“, die nicht bzw. zuwenig an andere Programme (Klimaschutzprogramm, Masterplan Verkehr) angebunden seien. Eine interessante Erfahrung dabei: Erst als Agenda-Projekte auch in den politischen Gremien diskutiert wurden, konnte die Angst überwunden werden, dass hier Parallelstrukturen zur Bezirkspolitik aufgebaut würden, so ihre Einschätzung. Die Kooperation von Politik, Verwaltungen und BürgerInnen war auch gefragt bei „Zeit für Graz“, einem mehrjährigen Partizipationsprojekt, in dem in allen 17 Stadtbezirken „Innovationswerkstätten“ durchgeführt wurden (Bericht Hansjörg Luser).

 

Äußerst kritisch beurteilt der Verkehrsplaner Andreas Käfer die derzeitige Praxis der vorgeschriebenen Behördenverfahren mit BürgerInnenanhörungen. Da die vorgebrachten Anmerkungen zwar zu Protokoll, von der Behörde in der Regel aber nicht einmal eines Kommentars gewürdigt würden, seien solche Verhandlungsverfahren nichts anderes „als das bis in die Nachtstunden dauernde zu-Tode-Administrieren des Widerstandes“ (S. 95) und in weiterer Folge daher eine „unmittelbare Ursache für Demokratie- und Politikverdrossenheit“ (ebd.).

 

Einen sehr zuversichtlich stimmenden Ausblick schafft schließlich die Prozessbegleiterin Bettina Wanschura. Sie schildert innovative Beispiele unter Einbindung von KünstlerInnen, etwa das Wiener Projekt „Begegnungen in Sprache“, in dem in wechselnden Lokalen von Zuwanderern Geschichten in ihrer Sprache vorgelesen und ins Deutsche übersetzt wurden. Wanschura erörtert auch, worauf bei der Integration von Kindern und Jugendlichen in Beteiligungsprozesse besonders geachtet werden müsse. So seien Kinder- und Jugendprojekte in kurzer Zeit umzusetzen und die Betroffenen dabei einzubinden, weil sonst die Motivation verloren gehe. Beteiligung sei nicht etwas, „was plötzlich alle wollen“ (S. 103), daher gehe es auch darum, erst Betroffenheit herzustellen.

 

Der Tenor der Beiträge zeigt deutlich, dass Bürgerbeteiligung der Stadt- und Raumentwicklung mehr Nachhaltigkeit verleiht und sich daher langfristig in jedem Fall auszahlt. Nicht weniger wertvoll sind jedoch die geschilderten Schwierigkeiten und Hürden, die dabei zu beachten sind. Zukunftsgestaltung als gemeinsamen Prozess des Lernens zu begreifen, bietet die Chance zu mehr gelebter Demokratie und muss daher auch seitens der Politik und Verwaltung wohl noch ernster genommen werden. H. H.

 

 Partizipativ planen – Raum entwickeln. Hrsg. Sibylla Zech. Wien: Lit-Verl., 2010. 110 S. (Forum Raumplanung; 18) € 15,40 [D], 15,80 [A], sFr 26,50

 

ISBN 978-3-643-50228-5