Nachhaltigkeit: Nachhaltig reich - nachhaltig arm?

Ausgabe: 1998 | 1

Der systemkritische und emanzipatorische Charakter des Begriffes „Nachhaltigkeit" kommt - so die Überzeugung der Autorinnen dieses Bandes - zusehends abhanden, weil (bzw. wenn) sozioökonomische Problemlagen, insbesondere Macht- und Verteilungsfragen, ausgeblendet werden. Einer grundsätzlichen Kritik des Nachhaltigkeitsdiskurses - Sigmar Groeneveld, Landwirtschaftsexperte an der Gesamthochschule Kassel, fordert in diesem Kontext etwa "Unterhalt statt Nachhaltigkeit" - folgen exemplarische Berichte über die Umweltbewegung in Brasilien sowie den Nachhaltigkeitsdiskurs in der Türkei. Im Hauptteil des Bandes werden Fragen der Nachhaltigkeit im Kontext der Weltwirtschaftsdynamik erörtert.

Der Ökonom Werner G. Raza skizziert zunächst den Preis des rapide gewachsenen Wohlstands in den kapitalistischen Zentren, den die kommenden Generationen, aber auch jene Länder zu zahlen haben, aus denen die "stofflichen und energetischen Ressourcen" hierfür abgezogen werden. Sein Kollege Joachim Becker gibt in der Folge einen überzeugenden historischen Abriß über die Abhängigkeit politischer und sozialer Entwicklungen von den Finanzmärkten. Er sieht im Kontext der aktuellen Globalisierung für die Zukunft nur eine Chance, wenn es gelingt. "den ökonomischen und den politischen Raum wieder anzunähern" (S.168). Kunibert Rafferzeigt schließlich anhand konkreter Beispiele, daß der Weltfreihandel (WTO-System) noch immer protektionistisch zugunsten des Nordens wirkt; er kritisiert aber auch die restriktive Austeritätspolitik der EU-Staaten (Das Schlagwort „Maastricht“ wurde zu einer allgemein anerkannten Rechtfertigung, alle Fehler der 30er-Jahre wieder begehen und eine paar neue hinzufügen zu können." S. 182). Eine Analyse, der auch Michael Dunford, Professor für Regionalwissenschaften in Sussex, im abschließenden Beitrag über die Krise des "Goldenen Zeitalters" zustimmt. Sein Zukunftsvorschlag enthält zwei Elemente: 1. Einschränkung des Wachstums auf die "weniger entwickelte Welt" (und dies) in einer die Reproduktion der Umwelt weniger gefährdenden Weise. 2. Übergang der "entwickelten Welt" hin zu einer Wirtschaftsordnung, "in der ein Zuwachs an Wohlstand die Form von mehr Freizeit annimmt." (S.205)

H. H.


Nachhaltig reich - nachhaltig arm? Hrsg. v. Werner G. Raza ...Frankfurt/M. (u. a.) Brandes & Apsel (u.a.). 1997.222 S. (Kritische Geographie; 12) DM 26,80 / öS 196,- / sFr 25