Nach dem Ende der Utopien

Ausgabe: 1995 | 2

Im Unterschied zu vielen seiner desillusionierten Mitstreiter in den Bürgerbewegungen Mittel-Ost-Europas hat sich Ullmann nicht in die Privatheit von Intellektuellenzirkeln zurückgezogen, sondern ist seit vorigem Jahr als Europa-Parlamentarier des Bündnis 90/Grüne für ein "ziviles Europa der Bürger" aktiv. Als evangelischer Theologe und Rechtsexperte hatte er in Berlin den "Runden Tisch" mitbegründet, an dem von den Bürgerbewegungen ein Entwurf für eine neue Verfassung Gesamtdeutschlands erarbeitet wurde. Gleichzeitig mußte er 1990, als Vizepräsident der Volkskammer in der Übergangsregierung Modrow, die verhängnisvollen Beitrittsbedingungen der BRD akzeptieren, die das Ende der Utopien eines gemeinsamen politischen Neuanfanges bedeuteten.

Der von dominanten Parteien und Medien propagierten Überwindung des Marxismus durch materialistisch orientierte westliche Politikkonzepte steht UIImanns politisch-philosophische Methode einer tieferreichenden Aufklärung gegenüber. Der Lähmung der politischen Urteilskraft begegnet er mit konsequentem protestantischen Arbeitsethos. So sind seine geschichtlichen Reflexionen mit den Methoden philosophischer und theologischer Kritik nicht allein ein Bewältigungsversuch der deutschen Politik seit 1989. Die philosophisch-politischen Interpretationen von Welt(innen)politik im ersten Teil des Buches ergänzt der Autor durch eine Kritik am gestörten Verhältnis der Theologie zu Philosophie und Naturwissenschaft. Dabei muß er sich als Bürgerrechtler zwangsläufig auch den - innerkirchlich bewältigbaren - Konflikten wie Dogmatismus und verfestigter Kirchendisziplin stellen. Philosophie und Religion sollten - ist Ullmann überzeugt - nicht als Fluchthelfer oder Opium, sondern als Bewährungshilfe für realisierbare Zukunftsvisionen dienen.

M. Rei.

Ullmann, Wolfgang: Zukunft Aufklärung. Eine Bestandsaufnahme nach dem Ende der Utopien. Berlin: cd. KONTEXT, 1995, 408 S., DM / sFr 70, - / ÖS 78,-