Siegried Lenz, dessen jüngster Roman („Arnes Nachlass“, 1999) von der Kritik überwiegend begeistert aufgenommen wurde, hat sich immer wieder auch als Essayist zu Wort gemeldet. Die drei hier versammelten Texte, allesamt bereits an anderer Stelle veröffentlicht, kreisen auf jeweils unterschiedliche Weise um den medialen, persönlichen sowie den politischen Stellenwert von Literatur.
In den einleitenden Mutmaßungen bricht Lenz eine Lanze für das Buch und erteilt den immer wieder zu vernehmenden Spekulationen über ein mögliches Ende des „Gutenberg-Zeitalters“ eine klare Absage. Zwar würden, ist er u. a. mit seinem Kollegen Umberto Eco einer Meinung, vor allem enzyklopädische Werke in sinnvoller Weise auf CD-Rom rezipiert, dem Buch durch die neuen Medien aber keine ernsthafte Konkurrenz erwachsen, auch wenn neue literarische Formen – etwa von mehreren, AutorInnen verfasste „Hypertexte“ angeboten würden. „Der traditionelle Leser eines Buches, der die lustvollen Mühen einer geistigen Durchdringung auf sich nimmt, widmet sich einem begrenzten, einem fertigen Text, deren Urheber ein einziger, und zwar belangbarer Autor ist.“ (S. 20) Die „Enkel Gutenbergs“, seien zunehmend weniger dem „Leseglück“ als dem „wohlfeilen Konsumentenglück, das der Bildschirm gewährt“ hinterher. Dies sei, meint Lenz, „mit so wenig Anstrengung verbunden“, dass „die Kunst des Lesens zum Problem“ werde (S. 24), (ohne mit in Betracht zu ziehen, dass daneben auch neue Kulturtechniken eingeübt und beherrscht sein wollen). Dass die ergiebigste Quelle der Literatur indes nicht die glitzernde (Konsum)Welt, sondern allemal die Region sei und Literatur darüber hinaus seit je her nur von einer Minorität gebraucht wurde, sind wohl Beobachtungen, die man wird teilen können.
„Aus der Nähe“, der zweite Beitrag, ist eine Würdigung der nordamerikanischen Literatur des 20. Jahrhunderts im Allgemeinen, und Hemingways, Falkners und Dos Passos im Besonderen, worauf an dieser Stelle nicht näher einzugehen ist. Politisch und ästhetisch relevanter hingegen nimmt sich der abschließende Beitrag („Das Kunstwerk als Regierungserklärung“) aus, in dem sich Lenz mit der – ja bis auf Plato zurück zu führenden Forderung der 68-Generation nach der „Machtergreifung der Phantasie“ auseinandersetzt. Er skizziert dabei ein durchaus ambivalentes, ja im Gunde distanziertes Verhältnis zwischen Revolutionären und Künstlern: „Der Traum vom Absoluten mag denen entsprechen, die in der Revolution ein wissenschaftliches Experiment sehen; den Menschen, denen daran gelegen ist, sich aus Zwangsverhältnissen zu befreien, entspricht er nicht. Die Phantasie an die Macht? Der Künstler an die Regierung? Was sich spontan fordern läßt, wirkt schon in dem Augenblick problematisch, in dem wir es weiterdenken; nicht einmal bis ins Letzte, sondern nur an den Punkt, wo das belegte Verhältnis des Künstlers zur Revolution überprüft werden kann. W. Sp.
Lenz, Siegfried: Mutmaßungen über die Zukunft der Literatur. Drei Essays. Hamburg: Hoffmann und Campe, 2001. 80 S., DM 20,- / sFr 18,60 / öS 146,-